Dornenschwestern (German Edition)
ihn nicht. Seit ich meinen Sohn verloren habe, bin ich des Lebens überdrüssig, und wenn meine Zeit gekommen ist, werde ich mich ohne Angst vor Träumen, ohne Angst vor dem Wachwerden zum Schlafen legen. Ich bin bereit, mich hinzulegen und zu schlafen. Ich bin müde.
Doch zuerst muss ich noch etwas erledigen. Ich schicke nach Sir Robert Brackenbury, Richards gutem Freund, und er kommt am Morgen in meine Gemächer, während der Hof auf der Jagd ist. Meine Hofdame lässt ihn ein und zieht sich auf einen Wink von mir zurück.
«Ich muss Euch etwas fragen», sage ich.
Er ist bestürzt über mein Aussehen. «Was kann ich für Euch tun, Euer Gnaden?», sagt er. Der rasch aufflackernde Zweifel in seiner Miene verrät mir, dass er mir nicht alles sagen wird.
«Ihr habt mich einmal nach den Prinzen gefragt», antworte ich, zu müde, um um den heißen Brei herumzureden. Ich will die Wahrheit wissen. «Die Rivers-Jungen im Tower. Ich wusste, dass eigentlich nur ihr Tod die Stellung meines Gemahls sichern würde. Ihr sagtet, ich sei zu gutherzig, um den Befehl zu geben.»
Er kniet vor mir nieder und nimmt meine schmalen Hände. «Ja, ich erinnere mich.»
«Ich werde sterben, Sir Robert», sage ich offen. «Und ich möchte wissen, was ich beichten muss, wenn ich die Letzte Ölung empfange. Ihr könnt mir die Wahrheit sagen. Seid Ihr meinem Wunsch nachgekommen? Habt Ihr etwas getan, um Richard vor Gefahren zu schützen, wie Ihr es, das weiß ich, immer tun werdet? Habt Ihr meine Worte als Befehl aufgefasst?»
Eine Weile herrscht Schweigen. Dann schüttelt er seinen großen Kopf. «Ich konnte es nicht», sagt er ruhig. «Ich wollte es nicht.»
Ich löse meine Hände und lehne mich auf meinem Stuhl zurück. Er hockt sich auf die Fersen. «Leben sie, oder sind sie tot?», frage ich.
Er zuckt die schweren Schultern. «Ich weiß es nicht, Euer Gnaden. Aber wenn ich sie suchen wollte, würde ich nicht im Tower anfangen, denn dort sind sie nicht.»
«Wo würdet Ihr anfangen zu suchen?»
Er hat den Blick zu Boden gerichtet. «Ich würde irgendwo in Flandern anfangen, in der Nähe des Hauses ihrer Tante, Margaret of York. Wo die Familie Eures Gemahls ihre Kinder schon immer hingeschickt hat, wenn sie um sie fürchtete. Richard und George wurden als Jungen nach Flandern gebracht. George, Duke of Clarence, hat seinen Sohn ins Ausland geschickt. Das tun die Plantagenets immer, wenn ihre Kinder in Gefahr sind.»
«Ihr glaubt, sie sind geflohen?», flüstere ich.
«Ich weiß, dass sie nicht im Tower sind und dass sie nicht umgebracht wurden, als ich Wache hatte.»
Ich spüre das Hämmern meines Herzens. Das Gift rinnt dick durch meine Adern und füllt meine Lunge, sodass ich kaum atmen kann. Wenn ich durchatmen könnte, würde ich darüber lachen, dass Edwards Söhne leben, während mein Junge tot ist. Vielleicht tritt, wenn Richard nach einem Thronerben sucht, nicht Elizabeth, die Prinzessin, vor, sondern einer der Rivers-Jungen.
«Seid Ihr ganz sicher?»
«Sie sind nicht im Tower begraben, und ich habe sie nicht getötet. Ich habe Eure Worte nicht so aufgefasst, und einem solchen Befehl hätte ich niemals Folge geleistet.»
Ich seufze. «Dann ist mein Gewissen rein?»
Er verneigt sich. «So rein wie das meine.»
Als die Jagdgesellschaft zurückkehrt, gehe ich in mein Schlafgemach; ich ertrage ihr lautes Gerede und ihre strahlenden Gesichter nicht. Meine Hofdamen helfen mir ins Bett. Dann geht die Tür auf, und Prinzessin Elizabeth huscht herein.
«Brauchst du etwas, werte Tante?», fragt sie.
Ich schüttele den Kopf auf dem reich bestickten Kissen. «Nein, nichts.»
Sie zögert. «Soll ich dich allein lassen? Oder soll ich mich zu dir setzen?»
«Du kannst bleiben», antworte ich. «Ich möchte dir etwas sagen.»
Mit verschränkten Händen und wachsamer, aber geduldiger Miene steht sie wartend neben dem Bett.
«Es geht um deine Brüder …»
Ihre Züge leuchten augenblicklich auf. «Ja?», haucht sie.
Niemand würde auch nur für einen einzigen Augenblick denken, dass sie trauert. Ich bin überzeugt, dass sie etwas weiß. Ihre Mutter hat etwas unternommen, um sie irgendwie zu retten. Sie mag einst gedacht haben, sie seien tot, und den Mann verflucht haben, der sie auf dem Gewissen hat. Doch vor mir steht ein Mädchen, das gute Nachrichten von ihren Brüdern zu hören hofft. Diese junge Frau ist nicht traurig über ihren Verlust, sie weiß, dass sie in Sicherheit sind.
«Ich glaube, ich weiß auch nicht mehr als
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