Dornenschwestern (German Edition)
Eine Tür geht auf, ein Bote kommt herein und reicht Richard ein Blatt Papier. Er überfliegt es kurz und nickt mir zu, als sei ein waghalsiges Spiel aufgegangen.
«Was ist?»
«Nachrichten von Tudor», antwortet er sehr leise. «Keine öffentliche Bekräftigung seiner Verlobung an diesem Weihnachtsfest. Diese Runde habe ich gewonnen. Er hat die York-Prinzessin verloren und damit die Unterstützung der Rivers-Verwandtschaft.» Er schenkt mir ein Lächeln. «Er weiß, dass er sie nicht als seine Frau bezeichnen kann, wenn alle davon ausgehen, dass sie in meiner Obhut, dass sie meine Hure ist. Ich habe sie ihm geraubt, und ihre Anhänger stehen nun auf meiner Seite.»
Ich blicke den langen Saal hinunter zu Elizabeth, die mit ihren Schwestern Tanzschritte übt und ungeduldig darauf wartet, dass die Musik wieder einsetzt. Junge Männer stehen um sie herum und hoffen auf einen Tanz mit den jungen Frauen.
«Wenn im ganzen Land bekannt wird, dass sie nicht mehr unberührt, die Dirne des Königs ist, hast du sie vernichtet.»
Er zuckt die Achseln. «Wer sich in die Nähe des Throns wagt, muss dafür einen Preis zahlen. Das weiß sie. Und ihre Mutter weiß es auch. Doch da ist noch etwas …»
«Was noch?»
«Ich habe Nachrichten über Tudors Invasion. Er kommt dieses Jahr.»
«Das weißt du? Wann?»
«Diesen Sommer.»
«Woher weißt du das?», flüstere ich.
Richard lächelt. «Ich habe einen Spion an seinem maroden Hof.»
«Wen?»
«Den ältesten Sohn von Elizabeth Woodville, Thomas Grey. Er steht mir zu Diensten. Sie erweist sich mir als sehr gute Freundin.»
Westminster Palace
März 1485
R ichard trifft Vorbereitungen für Tudors Invasion. Ich bereite mich auf den Tod vor, Elizabeth hingegen auf eine Hochzeit und eine Krönung, obwohl sie mir weiterhin so respektvoll dient, dass außer mir niemand etwas bemerkt. Doch ich bin äußerst wachsam. Ich allein bemerke ihre glühenden Wangen, wenn sie vom Spaziergang im Garten zurückkehrt, sehe, dass sie ihr Haar glatt streicht, als hätte jemand sie in die Arme genommen und ihren Kopfschmuck verschoben, ich allein nehme Notiz davon, dass die Bänder ihres Umhangs gelöst sind, als hätte sie sie geöffnet, damit er den Arm um ihre warme Taille legen und sie an sich ziehen kann.
Trotz der Vorkoster für Wein und Speisen werde ich immer schwächer, während die Tage heller und wärmer werden und die Sonne scheint und eine Amsel in dem Apfelbaum vor meinem Fenster ein Nest baut und jeden Tag im Morgengrauen vor Freude singt. Ich kann nicht schlafen. Ich denke an meine Jugendzeit, als Richard mich aus Armut und Demütigung errettete, an meine Kindheit, als Isabel und ich spielten, wir wären Königinnen. Es ist mir unbegreiflich, dass ich achtundzwanzig Jahre alt bin und dass Isabel nicht da ist und ich nicht mehr den Wunsch habe, Königin zu sein.
Ich beobachte Prinzessin Elizabeth mit scharfsinnigem Mitgefühl. Immerhin traue ich ihr nicht zu, dass sie das Gift auf mein Kissen streut. Aber sie denkt, ich sterbe an einer auszehrenden Krankheit, und wenn ich gänzlich dahingeschwunden bin, wird Richard sie aus Liebe zu seiner Königin machen. Jeden Tag wird sie ein neues Kleid tragen, und jeden Tag wird ein Fest gefeiert anlässlich ihrer Rückkehr in die Paläste und Burgen ihrer Kindheit als Erbin ihrer Mutter – als nächste Königin von England.
Sie glaubt, er liebt mich nicht, wahrscheinlich denkt sie, er hätte mich nie geliebt. Sie bildet sich ein, sie wäre die erste Frau, die er liebt, und er würde sie für immer lieben, und sie könnte von nun an durch das Leben tanzen, von allen angebetet, schön, eine Königin der Herzen wie einst ihre Mutter.
Diese Vorstellung von dem Leben der Königin von England ist so lebensfremd, dass ich lachen muss, bis ich huste und mir die schmerzende Seite halte. Ich kenne Richard. Mag sein, dass sie ihn im Augenblick bezaubert, mag sogar sein, dass er sie verführt und ihre keuchende Wonne in seinen Armen genossen hat; doch er ist nicht so dumm, für sie sein Königreich aufs Spiel zu setzen. Er hat sie Henry Tudor weggenommen, das war sein Ziel, und das hat er erreicht. Niemals wäre er so dumm, meine Verwandten, meine Pächter und meine Leute vor den Kopf zu stoßen. Er wird mich nicht fallen lassen, um sie zu heiraten. Das Rivers-Mädchen wird nicht meinen Platz übernehmen. Ich bezweifle sogar, dass ihre Mutter zu diesem Schluss kommt.
Ich habe das Gefühl, ich muss mich auf meinen Tod einstellen. Ich fürchte
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