Dornentöchter
einem ihrer manischen Stimmungsumschwünge. »Dass Sie so ein hübscher Junge sind, hat sie ja gar nicht erwähnt. Ich wollte gerade meine Mädchen zum Mittagessen rufen. Ich bin Ihrer Bitte nachgekommen und habe dafür gesorgt, dass Maxwell nicht da ist. Wie lange er wegbleiben wird, kann ich aber nicht sagen.«
Wer war das? Oder spielte ihre Mutter eines ihrer seltsamen Spiele? Vielleicht wusste sie, dass Thomasina in der Nähe war und lauschte. Sie war früher schon auf die Tricks ihrer Mutter hereingefallen. Thomasina versuchte angestrengt zu hören, was der Besucher erwiderte, aber Mutter war zurück ins Wohnzimmer gegangen – zum Glück, ohne Thomasina zu entdecken – und hatte das Grammophon wieder angeschaltet. Falls es eine Antwort gab, so wurde sie von der Musik übertönt. Was sollte sie jetzt tun? Hinaus in den Garten rennen, bevor Mutter sie rufen kam? Sie floh, so leise sie konnte, und hatte soeben die Küche erreicht, als sich bereits Schritte im Flur näherten. Thomasina konnte sich gerade noch rechtzeitig hinter die Küchentür quetschen, da betrat ihre Mutter auch schon den Raum.
Plötzlich vernahm Thomasina ein leises Geräusch aus dem Keller und hielt vor lauter Angst den Atem an. Der Teufel! Was, wenn er seine Kette abgestreift hatte und seine Beute witterte? War er womöglich schon auf dem Weg nach oben, um das ungezogene kleine Mädchen hinter der Tür zu verschlingen? Sie wollte wegrennen, aber die Stimme ihrer Mutter hielt sie gefangen. Sie wusste nicht, wovor sie mehr Angst hatte: vor dem Zorn ihrer Mutter, weil sie ungehorsam war und ihr nachspioniert hatte, oder vor dem Tasmanischen Teufel, der womöglich frei im Haus herumlief.
»Ich habe das Geld für Sie!«, verkündete Mutter in munterem, gekünsteltem, irgendwie falschem Tonfall. Thomasina versuchte, nicht zu atmen und auch sonst kein Geräusch zu machen. Ihre Mutter klang, als würde sie jemandem etwas vorspielen, und Thomasina rechnete fast damit, dass Pearl jeden Moment in Lachen ausbrechen würde. Dann würde sie ihre Tochter hinter der Tür hervorzerren und sie mit dem Schürhaken verdreschen.
»Sapperlot, Sie benehmen sich ja gerade so, als wären Sie hier zu Hause! Also, Sie geben mir jetzt die Information und ich gebe Ihnen das Geld. Sie erinnern sich an unsere Vereinbarung? Warten Sie kurz! Warum grinsen Sie denn so?« Es folgte eine kurze Pause. Thomasina hörte, wie ihre Mutter Dosen öffnete, als suche sie etwas. Die Luft in der Küche fühlte sich plötzlich merkwürdig an, so als würde gleich etwas passieren und als hätte ihre Mutter irgendwie Angst davor. Aber Mutter hatte doch nie vor etwas Angst! Thomasina kniff weiterhin fest die Augen zusammen und betete, ihre Mutter würde die Küche verlassen, ehe sie ihr Versteck hinter der Tür entdeckte und sich der ausgehungerte Teufel aus dem Keller wild auf das Fleisch eines kleinen Mädchens stürzen würde.
»Mein Mann ist draußen im Garten«, beeilte sich Pearl zu sagen. »Moment mal! Wo gehen Sie denn hin?«
Thomasina, die sich gerade noch gefragt hatte, weshalb ihre Mutter wegen Daddy log, erstarrte vor Panik. Sie hörte Schritte die Kellertreppe hinuntergehen. Ihre Mutter redete dabei immer noch so gekünstelt, als spräche sie mit sich selbst. Sollte sie ihre Mutter warnen, dass sich dort unten der Teufel von seiner Leine befreit hatte?
Weil sie sich nicht entscheiden konnte, schlich sie auf Zehenspitzen näher an die Kellertür heran und hörte ihre Mutter lachen. Thomasina atmete erleichtert auf. Wenn sie lachte, dann würde vielleicht alles gut werden. Sie hörte Mutter sagen: »Ach, das ist es, was Sie wollen! Na gut, aber machen Sie schnell und verschwinden Sie dann wieder. Na los! Wehe, meine Strümpfe kriegen was ab oder gehen kaputt!« Thomasina lauschte angestrengt und hörte, wie etwas zu Boden fiel und ein Reißverschluss geöffnet wurde. »Und, gefällt dir, was du siehst?«, gurrte ihre Mutter in dem aufreizenden Tonfall, den Thomasina nicht zum ersten Mal hörte. Es war eine widerliche, ekelhafte Stimme, die Männer immer dazu brachte, ihre Mutter ganz seltsam anzusehen. Mutter hatte auf diese eklige Art sogar schon mit Violet geredet, wenn Daddy nicht da war.
»Hure.« Thomasina spitzte die Ohren. Das hatte nicht wie die Stimme ihrer Mutter geklungen. War da unten noch jemand oder verstellte ihre Mutter die Stimme, wie sie es manchmal tat, wenn sie an einer ihrer Figuren arbeitete? Aber warum nannte sie sich selbst Hure? Was bedeutete
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