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Dornentöchter

Dornentöchter

Titel: Dornentöchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josephine Pennicott
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Thomasinas Gesicht zuckte, als sie versuchte die Tränen zurückzuhalten.
    »Es tut mir leid«, entschuldigte sich Sadie. »Ich hätte nicht nachbohren sollen. Ich wollte dich nicht unglücklich machen. Es ist nur so … Ich weiß, dass du an diesem Tag etwas gesehen hast. Und das war kein Teufel, der deine Mutter angegriffen hat, Thomasina. Du musst doch wissen, dass der Teufel eine Geschichte war, die sie sich ausgedacht hat, um euch Mädchen davon abzuhalten, in den Keller zu gehen. Ich glaube, dass etwas viel Schlimmeres eurer Mutter dort hinunter gefolgt ist. Und die Wahrscheinlichkeit ist ziemlich groß, dass du es gesehen hast, auch wenn du vielleicht noch zu klein warst, um richtig zu verstehen, um was es sich gehandelt hat. Vielleicht war es dein Geist? Der gar kein Geist war, sondern ein Mann aus Fleisch und Blut.«
    »Du glaubst, du bist hier in einem Agatha-Christie-Roman, was?« Thomasina goss noch mehr Sherry in ihren Becher. »Kommst hierher, störst meinen Frieden. Bringst Birdie Pinkerton zurück ins Poet’s Cottage, zwitscherst herum und hältst dich für Miss Marple.« Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und verschränkte die Arme. »Mein Gott, selbst Violet spaziert hier ungeniert durch die Gegend, scheucht ihre verdammten Schafe in meinen Garten, wann immer ihr nach einem Bad zumute ist. Wie oft muss ich es noch sagen? Es interessiert mich nicht, was mit ihr passiert ist! Warum sollte es das auch? Sie hat mich nie geliebt!«
    Der letzte Satz glich einem verzweifelten, verzerrten Schrei, und Sadie stand hastig auf. »Es tut mir leid, Thomasina. Wir lassen es fürs Erste gut sein. Ich werde dich nicht weiter verärgern.«
    Als sie durch den Märchenskulpturengarten spazierten, flüsterte Sadie Betty zu: »Was für eine Zeitverschwendung. Aber was will man machen, wenn sie sich nicht erinnern will? Ich fühle mich grässlich, dass ich sie so aufgewühlt habe.«
    Thomasina saß immer noch mit ihrem Sherry am Küchentisch, und die Gedanken schossen ihr wild durch den Kopf. Verflucht sollte sie sein, Marguerites Tochter, mit ihrer Neugier und ihrer Schnüffelei! »Es ist mir egal, was dir an jenem Tag passiert ist, Mutter … Ich hoffe nur, du schmorst in der Hölle!«
    Ihre Zunge fuhr automatisch zu der großen Zahnlücke hinten im Mund. Seit dieser schmerzhaften Erfahrung waren viele Jahre vergangen, doch sie hatte die Qual nie vergessen: Wie Pearl sie auf dem Küchentisch festhielt und sie anbrüllte, während dieser sadistische Zahnarzt ihren Kiefer entzweizureißen schien.
    Sie dachte an den Brief von dieser Jean, der Hellseherin. Es war möglich, dass der Geist kein Geist gewesen war. Thomasinas Erinnerung an die Gestalt war verschwommen. Als Kind hatte sie sich gerne Geschichten ausgedacht, um Marguerite Angst zu machen, und wenn sie im Lauf der Jahre an ihren Geist dachte, hatte sie sich längst selbst davon überzeugt, dass es sich um ein weiteres Phantasiegespinst gehandelt haben musste.
    Thomasina erlaubte ihren Gedanken, zu jenem Abend der Party zurückzuwandern. Mutter hatte sie und Marguerite mit der strengen Anweisung ins Bett geschickt, auf keinen Fall nach unten zu kommen, aber Thomasina konnte nicht schlafen. Als Strafe, weil Mutter gemein zu ihr war und ihr keine Süßigkeiten kaufte, hatte sie nachmittags einen kleinen Porzellanhund zerbrochen, den ihre Mutter sehr schätzte, und die Scherben rasch in der Nähe des Stachelranken-Mannes versteckt. Sie hatte Angst, ihre Mutter würde die Scherben finden und beschloss deshalb, nach draußen zu gehen und sie zu vergraben. Also schlich sie auf Zehenspitzen die Treppe hinunter und zur Hintertür hinaus, ohne von den Erwachsenen bemerkt zu werden. Als sie durch den Garten ging und am duftenden Eisenkrautbusch vorbeikam, hörte sie das schrille, falsche Lachen ihrer Mutter. Bis die Skulptur des Stachelranken-Mannes schließlich vor ihr auftauchte, hatten sich Thomasinas Augen langsam an die Dunkelheit gewöhnt.
    Und da sah sie ihn, den Geist. Er stand hinter der Statue, als würde er auf sie warten: ein großer, dunkelhaariger Geist mit unglaublich bleichem Gesicht und seltsamen, wilden Augen. Vor lauter Schreck stand sie wie angewurzelt da, und er blickte starr geradeaus, ohne ein Wort zu sagen, sah durch sie hindurch wie jemand in einem Traum. Er war ein Wesen, das aus Schatten erschaffen schien und aus einer anderen Welt durch ein Tor in diese irdische getreten war.
    Thomasina brach den Bann, indem sie ins Haus zurückrannte, zum

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