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Dornröschengift

Dornröschengift

Titel: Dornröschengift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krystyna Kuhn
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für mein Verhalten keine Entschuldigung. Ich aber stand auf dem Flur ohne einen blassen Schimmer, was ich jetzt tun sollte. Der Unterricht hatte bereits begonnen. Ich würde zu spät kommen, müsste lügen, eine Entschuldigung erfinden. Finn dachte von mir, dass ich ihn für einen Mörder hielt. Ein Gedanke, der mir plötzlich absurd, ja geradezu hirnverbrannt erschien. Manchmal muss man Dinge tun, die nicht im Lehrplan stehen, hatte Mike einmal gesagt, als ich ihn erwischte, wie er den Unterricht schwänzte. Er hatte recht. Manchmal war das Leben zu kompliziert, um in die Schule zu gehen. Kurz entschlossen wandte ich mich um, verließ das Schulgebäude, ging zur Bushaltestelle und stieg in den nächsten Bus. Er fuhr los. Am alten Hotel stieg ich aus. Hier, hatte Finn gesagt, war ein guter Ort, um nachzudenken.

Adventure Level II
    W ie das letzte Mal zog auch heute der Wind durch die zerbro chenen Fensterscheiben des Hotels, wehte die langen kalte n Flure entlang, schlug drohend gegen Schindeln, die sich gelös t hatten . Ich rannte hoch in das Zimmer, wo Finn mich geküsst hatte , stellte mich ans Fenster und starrte hinaus. Über den Himme l jagten die Wolken. Er veränderte sich mit jeder Minute. In de r Ferne erkannte ich die Silhouette des Gespensterwaldes mi t den hohen knochigen Bäumen . Warum war ich hier ? Hoffte ich wirklich, Finn käme nach der Schule hierher und ic h hätte noch eine Chance, ihm alles zu erklären? Aber was wollt e ich ihm eigentlich erklären? Er hatte ja recht. Ich hatte ihn ver dächtigt . Nach einer Weile setzte ich mich auf den staubigen Boden , lehnte den Kopf an die Wand, zog den MP3-Player aus der Ta sche, versuchte mich mit der Musik von Linking Park abzulen ken, doch es gelang mir nicht . Mir war kalt vor Unglück . Ich fühlte mich einsam und bedauerte mich selbst . Wie lange ich da saß ? Keine Ahnung ! Lange ! Irgendwann beschloss ich, dass es genug war, schaltete die Mu sik ab und erhob mich. Der Blick auf die Armbanduhr zeigte , dass die Schule längst vorüber war. Tom hatte vergeblich vo r der Schule auf mich gewartet und Mam würde sich mittlerweile Sorgen machen. Irgendwie war mir der Gedanke angenehm. Klar, es war unfair, aber ich war alleine. Allein in dieser Ruine konnte ich ehrlich sein, endlich denken und fühlen, was ich wollte. Das Problem mit Mam war immer gewesen, dass sie Mike mehr liebte als mich. Ich hatte das schon gespürt, als ich noch ganz klein war. Aber es hatte mich nie wirklich verletzt. Ich hatte es verstanden, denn Mike… Mike war einfach unglaublich lie benswert gewesen. Jeder hatte ihn gemocht, jeder gesagt, er sei ein toller Typ. In diesem Moment drangen von unten Stimmen zu mir herauf, hallten von den kahlen Wänden wider. Ich war nicht länger allein. Und dann hörte ich es. Es zog mir das Herz zusammen, so er schrak ich, denn da unten schluchzte jemand erbärmlich, wäh rend jemand anderes aufgeregt sprach und zunehmend wüten der wurde. Leise erhob ich mich, schlich hinaus auf den Flur und huschte die Treppe hinunter. Kälte strömte die alte Steintreppe ent lang. Sie drang durch die im Feuer zerborstenen Fensterschei ben. »Hör auf zu flennen«, sagte jemand. »Das hat jetzt auch keinen Sinn mehr.« Doch das Weinen brach nicht ab. »Wir haben keine Schuld«, hörte ich. »Wir hätten nicht gehen dürfen.« Die helle Mädchenstimme klang schrill und ängstlich. Sie schien mir irgendwie vertraut und gleichzeitig fremd. Überhaupt konnte ich die Stimmen nicht zuordnen, es musste an dem Hall der leeren Räume liegen. »Das sind die Regeln. Ihr alle habt sie unterschrieben.« Schließ lich leiser: »Besinnen wir uns auf unser Versprechen. Es gilt bi s in den Tod. Ihr alle habt die Hand darauf gegeben. « Ich war noch nie mutig, ja, ich würde mich sogar feige nennen . Ich war auch nicht Jamaica, die die Welt wie einen unentdeck ten Planeten betrachtete, den sie unbedingt erforsche n musste . Aber ich ging Schritt für Schritt die Stufen nach unten, bis ic h den ersten Stock erreicht hatte. Dort beugte ich mich über da s wackelige Geländer . Wer war dort unten ? Und woher stammte dieses seltsame Kratzen ? »Man darf erst wieder aufstehen, wenn man wiederbelebt ode r als Untoter erweckt wurde«, sagte die wütende Stimme. Nein , ich konnte sie nicht erkennen und jetzt wusste ich auch, wora n das lag. Der Wind verzerrte alle Geräusche . »Ihr wisst doch, Tote erzählen keine Geschichten mehr. Und ih r müsst euch auch nicht fürchten.

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