Dornroeschengift
Irgendwas ist passiert und ich möchte es wissen. « Carlotta brach in Tränen aus . Ich wartete ungeduldig . Sie schluchzte in ihr Kopfkissen. Das Geräusch klang dump f und sie bekam kaum Luft, konnte sich einfach nicht beruhigen . Es blieb mir nichts anderes übrig, als mich zu ihr aufs Bett z u setzen. Langsam streichelte ich ihren Rücken, bis mir selbst di e Tränen kamen, doch ich schluckte sie hinunter . Immer nur Geheule, dachte ich . »Hör auf«, sagte ich schließlich entschieden. »Dein blödes Ge
flenne bringt nichts.« Ich redete plötzlich wie Jamaica. Es fühlt e sich nicht einmal so schlecht an . Langsam beruhigte sich Carlotta, obwohl ihr Rücken noch im mer vor unterdrücktem Schluchzen zuckte . »Mann, ich hol deine Mutter, wenn du nicht endlich aufhörst z u heulen. Wir haben keine Zeit. Ich muss wissen, was mit Lis a passiert ist! « Endlich richtete sich Carlotta auf. Ihr Gesicht war aufgequollen , sah aus wie der Hefeteig meiner Oma. Nichts war übrig von de r Schminke, dem ganzen Make-up, der täglichen Maske . »Warum schweigst du? Warum sagst du nicht einfach die Wahr heit?« Nein, ich gab nicht nach . Sie zögerte . »Wer war im Hotel neulich bei dir? Als du geweint hast? « »Ich kann es dir nicht erklären«, begann sie . »Vor wem fürchtest du dich? Mir kannst du es doch sagen, ic h bin eine deiner ältesten Freundinnen. Wir hatte nie Geheimnis se voreinander, bis . . . « Sie zuckte hilflos mit den Schultern . »Ist es Finn?« Ich musste es endlich wissen. Konnte die Unge wissheit nicht länger ertragen. »Fürchtest du dich vor ihm? « Fassungslos blickte sie auf. »Finn? « Und dann völlig erstaunt: »Was hat der damit zu tun? « Das Gefühl der Erlösung war überwältigend. Ich fühlte mich s o erleichtert – ehrlich, ich war in diesem Moment sicher z u schweben. Bis Carlottas verzweifelter Gesichtsausdruck mic h wieder zurück auf den Boden brachte . »Es ist Ruven, oder? « Sie nickte . Ich sprang auf, rannte hektisch hin und her, bis ich entschie den vor ihr stehen blieb. »Aber warum? Was kann er dir den n tun? «
Carlotta kämpfte erneut gegen die aufsteigenden Tränen: »E r sagt, das kostet meinem Vater den Job. « »Aber . . .? « »Er kann nicht länger als Polizist arbeiten, wenn . . . « »Wenn was? « »Wenn alle die Wahrheit erfahren . . . « »Wovon verdammt noch mal redest du? Welche Wahrheit?« , schrie ich . »Es war doch nur ein Spiel«, schluchzte Carlotta laut. »Nur ei n Spiel, sonst nichts. « Schlagartig verstand ich: »Du meinst, du weißt, wie Lisa gestor ben ist? Habt ihr etwas damit zu tun? « »Was soll ich machen, Sofie? Was wird mein Vater sagen? Er is t Polizist . . .«, sie holte tief Luft, »und ich eine Mörderin! « Abrupte Stille . Ich starrte sie an . »Mörderin? « Sie nickte. Nun liefen die Tränen das Gesicht herunter, ohn e dass sie einen Laut von sich gab. Es war schlimmer, als hätte si e weiter so erbärmlich geschluchzt . »Wir haben Lisa im Wald allein gelassen, einfach liegen gelas sen. Obwohl sie sich nicht mehr gerührt hat.« Nun flüsterte sie . »Und, oh Gott, Sofie, wir haben noch gelacht, weil Ruven mein te, sie sähe aus wie Dornröschen. Aber bei ihrem Aussehe n würde sie auch nach hundert Jahren keiner wach küssen.« Vo r Aufregung begann sie an den Fingernägeln zu kauen. »Ich schä me mich so. « »Dafür ist es nun zu spät. « »Ich halte das nicht aus! « »Fang an!«, befahl ich. »Ich möchte alles wissen. « Zitternd holte sie tief Luft. »Wir waren zusammen im Eiscafé , wie wir gesagt haben. Lisa hat Ruven dort wieder einmal be kniet, sie in unsere Gruppe aufzunehmen. Und Ruven – er ha t plötzlich zugestimmt. Aber es sollte noch in dieser Nacht pas sieren. « »Dann habt ihr Lisa gar nicht nach Hause gebracht? « Carlotta schüttelte unglücklich den Kopf . Jetzt verstand ich gar nichts mehr . »Aber die Nachbarin hat doch Lisa vor der Haustür gesehen. « »Das stimmt ja auch. Lisa ist nach Hause gefahren, um das wei ße Kleid zu holen, das sie tragen sollte. Ruven behauptete, da s müsse sein, damit das Ganze möglichst echt wirkt. « Ich hatte nicht wirklich eine Ahnung, was sie meinte, dennoc h schwieg ich, damit sie weitersprach . »Wir haben im Hotel auf sie gewartet. Ehrlich, wir haben nich t damit gerechnet, dass sie wirklich kommt. Aber plötzlich stan d sie vor uns in diesem weißen Kleid.« Carlotta holte tief Luft un d dann brach es aus ihr heraus. »Es war nur ein Scherz, verstehs t du? Wir
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