Dornroeschenmord
daß alles erlogen sein könnte.«
»Woher kennen Sie den Mann überhaupt?« fragte Mandy.
Cordula Schiller nahm einen großen Schluck aus ihrem Wasserglas, hüstelte und fuhr schließlich fort:
»Aufmerksam wurde ich auf ihn durch meinen Arzt. Ich weiß, das klingt ein wenig komisch, aber in meinem Job ist man darauf angewiesen, auf das zu hören, was Leute erzählen. Wissen Sie, wir machen ja keine Filme über berühmte Leute, sondern wir suchen das Außergewöhnliche im Umfeld des Gewöhnlichen. Und als mein Arzt mir von einem Kollegen mit einer unglaublichen Lebensgeschichte erzählte, wurde ich natürlich hellhörig. Um die Story noch zu untermauern, gab er mir schließlich einen Bericht über Grasser, der in der ›tz‹ erschienen war. Und da konnte ich schwarz auf weiß alles nachlesen. Ich rief ihn also an, wir trafen uns, und ich beschloß, einen Film über ihn zu machen.«
»Und dann haben Sie entdeckt, daß seine Geschichte nicht stimmt?«
»Na ja, zumindest ein paar Aspekte seiner Geschichte sind falsch. Das erfuhr ich aber erst, nachdem die Dreharbeiten schon beendet waren. Wir sitzen mit Filmmaterial im Wert von über hunderttausend Mark im Schneideraum und können nicht loslegen. Wissen Sie, was das heißen würde, wenn nichts von dem stimmt, was er uns erzählt hat?«
Mandy goß der aufgelösten Frau noch einmal stilles Wasser nach. »Ich nehme an, die gesamte Produktion wäre damit im Eimer und somit auch das ganze Geld.«
»Genau«, sagte Cordula Schiller, und ihr gewaltiger Busen hob und senkte sich vor Aufregung. »Und meinen Job wäre ich aller Wahrscheinlichkeit auch los.«
»Und wie kam es, daß Sie von seinen … ähm … Schwindeleien erfahren haben?«
»Mein geschiedener Mann ist mit einem der Herren aus dem Vorstand von MBB sehr gut befreundet. Und wie es der Zufall will, trafen sich die beiden vor ein paar Tagen auf dem Golfplatz. Wissen Sie, mein Ex-Gatte und ich«, sie kicherte grundlos, »wir stehen nach wie vor in sehr engem Kontakt miteinander … Sie wissen ja, wie das bei manchen Geschiedenen so ist …«
»Nein«, entgegnete Mandy trocken, »aber das tut ja nichts zur Sache. Fahren Sie ruhig fort.«
Die Regisseurin blickte sie für einen Augenblick irritiert an, zupfte geziert eine Locke aus ihrem Krähennest und erzählte weiter: »Ja, wie dem auch sei … Ich habe meinem Ex jedenfalls von meinem Film über Grasser erzählt und auch, daß er angeblich in leitender Position für MBB gearbeitet hat. Mein Mann wiederum erzählte seinem Freund davon, und wie es der Zufall eben will, kam heraus, daß Grasser niemals für dieses Unternehmen tätig gewesen ist. Wir haben weiter recherchiert und erfahren, daß Grasser zwar ein Maschinenbaustudium begonnen, es aber nie zu Ende geführt hat.«
Cordula Schiller zündete sich nervös ein kleines schwarzes Zigarillo an. Die dunklen Pupillen huschten rastlos hin und her. »Sie gestatten doch?« fragte sie, und Mandy nickte zustimmend.
»Ich verstehe. Und ich soll also nun alle weiteren Details aus Grassers Geschichte überprüfen.«
»So ist es. Wissen Sie, eigentlich möchte ich das Projekt gern zu Ende bringen. Aber der Wahrheitsgehalt ist bei so einer Sache natürlich das Allerwichtigste. Ich kann mir nicht helfen, aber ich habe das Gefühl, auf einen Schwindler übelster Sorte hereingefallen zu sein.«
»Ich kann Ihre Befürchtungen durchaus verstehen«, sagte Mandy nachdenklich, »aber eine Frage drängt sich mir unweigerlich auf: Warum sollte Richard Grasser so offensichtlich lügen?«
»Das ist genau der Punkt, über den auch ich jedes Mal stolpere.« Cordula Schiller biß sich grüblerisch in den Nagel ihres linken Zeigefingers. »Werden Sie den Auftrag annehmen?«
»Warum nicht? Ich bin sicher, ich kann Ihnen helfen. Aber eine Bitte hätte ich noch. Würden Sie mir eine Kopie Ihres Filmmaterials überlassen? So könnte ich mir ein Bild von dem Mann machen.«
»Kein Problem. Ich habe außerdem einige Zeitungsausschnitte mitgebracht, und hier ist ein Foto von ihm.«
Sie reichte Mandy ein Bild, das einen Mann von wahrhaft imposanter Erscheinung zeigte. Mandy schätzte ihn auf ungefähr hundertvierzig Kilo. Auf dem fast schon monströsen Leib saß ein massiger Schädel mit rötlich-grauem Haar. Sein Gesicht war von einem mächtigen Rauschebart umrahmt.
Richard Grasser wirkte nicht unsympathisch, ganz im Gegenteil. Seine Züge waren verschmitzt, und in seinen blauen Augen lag ein vertrauenerweckendes Blinzeln.
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