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Double Cross. Falsches Spiel

Double Cross. Falsches Spiel

Titel: Double Cross. Falsches Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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der rüde Umgangston einer Zeitungsredaktion, und Vicary wagte sich nur hinein, wenn es unbedingt sein mußte.
    Offiziell bekleidete Vicary den Rang eines Majors im Nachrichtenkorps, doch der Dienstgrad war im Department nahezu ohne Bedeutung. Viele Kollegen sprachen ihn gewohnheitsmäßig mit ›Professor‹ an, und bislang hatte er nur zweimal seine Uniform getragen. Doch er kleidete sich anders als früher. Die Tweedanzüge aus seiner Zeit an der Universität hatte er ausrangiert. Dafür trug er jetzt schicke graue Anzüge, die er sich gekauft hatte, bevor Textilien wie alles andere rationiert wurden. Gelegentlich traf er einen alten Bekannten oder Kollegen vom University College, und trotz der unablässigen Mahnungen der Regierung zur Verschwiegenheit fragten sie ihn jedesmal, was genau er eigentlich mache. Doch er lächelte nur müde, zuckte mit den Schultern und gab ihnen die vorgeschriebene Antwort: Er arbeite in einer langweiligen Abteilung des Kriegsministeriums.
    Manchmal war die Arbeit tatsächlich langweilig, doch war dies eher die Ausnahme. Churchill hatte recht gehabt - es war höchste Zeit für ihn gewesen, unter die Lebenden zurückzukehren. Seit seinem Wechsel zum MI5 im Mai 1940 fühlte er sich wie neugeboren. Die Atmosphäre, die jetzt, im Krieg, im Geheimdienst herrschte, belebte ihn - die langen Arbeitszeiten, die Krisensitzungen, ja, selbst der schlechte Tee in der Kantine. Er hatte sogar das Rauchen wieder angefangen, das er in seinem letzten Jahr in Cambridge aufgegeben hatte. Er genoß es, auf der Bühne des wirklichen Lebens zu agieren, und er fragte sich ernsthaft, ob er im Refugium des Universitätslebens jemals wieder zufrieden sein könnte.
    Gewiß, die Arbeit war anstrengend und aufreibend, doch er hatte sich nie besser gefühlt. Er konnte länger arbeiten und brauchte weniger Schlaf als früher. Und wenn er zu Bett ging, dann schlief er sofort ein. Wie seine Kollegen verbrachte er die meisten Nächte in der MI5-Zentrale und schlief auf einem kleinen Feldbett, das tagsüber zusammengeklappt neben seinem Schreibtisch stand.
    Nur die wenig pflegliche Behandlung seiner Lesebrille hatte Vicarys Wandlung überdauert. Sie war nach wie vor angeschla gen und stets verschmiert und sorgte im Department für Heiterkeit. In sorgenvollen Augenblicken klopfte Vicary immer noch die Taschen nach ihr ab und setzte sie sich zur Beruhigung auf die Nase.
    Und das tat er auch jetzt, als über Boothbys Tür plötzlich die grüne Lampe aufleuchtete. Vicary drückte den Summer mit der getragenen Miene eines Mannes, der zum Begräbnis eines Jugendfreundes geht. Ein leises Schnarren, die Tür sprang auf, und Vicary trat ein.
    Boothbys Büro war groß und langgestreckt. Es war mit schönen Gemälden, einem Kamin und wertvollen Perserteppichen ausgestattet, und die großen Fenster boten einen herrlichen Ausblick. Sir Basil ließ Vicary die obligatorischen zehn Minuten warten, bevor er den Raum durch eine zweite Tür betrat, die sein Büro mit dem Sekretariat des Generaldirektors verband.
    Nach Größe und Statur war Sir Basil Boothby ein typischer Engländer, groß und kantig, und seine Erscheinung ließ noch Anzeichen jener geschmeidigen Behendigkeit erkennen, die ihn an der Universität zur Sportkanone gemacht hatte: Die Art, wie er ein Glas in seiner kräftigen Hand hielt, die breiten Schultern, der muskulöse Hals und die schmalen Hüften, die Hose, Weste und Jackett in perfekter Eleganz betonten. Er war der Typ des kräftigen gutaussehenden Mannes, auf den bestimmte jüngere Frauen flogen. Sein weißgraues Haar und seine Augenbrauen sprossen so üppig, daß ihn Witzbolde im Department die Flaschenbürste aus dem fünften Stock nannten.
    Offiziell war über Boothbys Werdegang wenig bekannt - nur daß er sein gesamtes Berufsleben in britischen Geheimdiensten zugebracht hatte. Nach Vicarys Ansicht verrieten Gerüchte und Klatsch mehr über einen Mann als sein Lebenslauf. Innerhalb des Departments stellte man wilde Spekulationen über Boothby an. Diesen Gerüchten zufolge war er im Ersten Weltkrieg der Kopf eines Spionagerings gewesen, dem es gelang, den deutschen Generalstab zu infiltrieren. In Neu-Delhi hatte er angeblich persönlich einen Inder exekutiert, der des Mordes an einem britischen Staatbürger bezichtigt wurde. Und in Irland hatte er, wie es hieß, mit dem Griff seiner Pistole einen Mann erschlagen, der sich weigerte, die Lage eines Waffenverstecks preiszugeben. Er beherrschte mehrere

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