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Dr. Ohio und der zweite Erbe

Dr. Ohio und der zweite Erbe

Titel: Dr. Ohio und der zweite Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Stichler
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nicht mehr besonders für die Filialen, die ihm aber immer noch ein luxuriöses Auskommen garantierten. Schon längst verwaltete seine Anwaltskanzlei die Geschäfte. Das war nicht unbedingt der Idealfall und schon längst hätte er sich um einen vernünftigen Repräsentanten kümmern müssen.
    Aber Höpfner interessierte das nur am Rande. Er war immer ein enthusiastischer Mann gewesen, der sich für die verschiedensten Dinge begeistern konnte. Allerdings war sein Interesse jedes Mal nur begrenzt haltbar. Zuerst hatte er sein Sprachstudium abgebrochen, um die Buchhandlungen seines Vaters weiterzuführen. Anfangs ging das gut und Höpfner expandierte kräftig. Nachdem das Geld floss, sprang Höpfners Interesse über auf schnelle Autos und Frauen mit streng nach hinten gekämmten Haaren. Nach Ausflügen in den Sport und die Kunst wurde das Schachspiel seine Leidenschaft. In den letzten Jahren hatte er sich mit Religionen beschäftigt, hauptsächlich mit dem Calvinismus. Dort gipfelte sein Enthusiasmus in der Anstellung seines finnischen Assistenten Värie Wieri, der als Spezialist auf dem Gebiet galt. Und seit neuestem waren es eben Haikus.
    Seit jenem Nachmittag in der Buchhandlung trafen sich Dr. Ohio und Höpfner öfter und gingen in Tübingen im Park bei der Uni oder auf der Neckarinsel spazieren. Am Wochenende war immer viel los dort, Spaziergänger, Familien mit Kindern und Hunden. Angestrengte Studenten stocherten ihre Kommilitonen und Freundinnen in ihren Kähnen mehr schlecht als recht den Fluss entlang, vorbei an den Fachwerkhäusern, die den Rand der Altstadt markierten. Aber an den anderen Tagen war es ruhig da draußen am Fluss, der die Stadt in einen alten und einen neuen Teil trennte. Dr. Ohio mochte vor allem die Vormittage im Herbst, wenn sich der Nebel des Neckartals über den Fluss und die Insel legte, wenn das Zeitalter keine Rolle mehr zu spielen schien und man nie wissen konnte, wer einem gleich aus welcher Zeit aus dem Nebel entgegenkommen würde. Die Stadt war dann nur noch schemenhaft zu erkennen und manchmal ragte das Dach des Schlosses oder der Kirchturm, oberhalb des Nebels von bleichem Sonnenlicht bestrahlt, aus dem Dunst.
    Sie gingen langsam durchs raschelnde Laub bis zum Silcherdenkmal, das grün und verloren zwischen den Bäumen der Allee auftauchte, und unterhielten sich über japanische Dichter und Verse. Manchmal brachte Ohio Höpfner ein kleines Bändchen mit Haikus mit. Erst später begannen sie, in der „Träumenden Taube“, im „Storchen“, bei Dr. Ohio oder in Höpfners Villa eine Partie Schach zu spielen.
    Höpfners eigentliches Bestreben war es, eigene Haikus zu verfassen. Er wollte das Prinzip durchschauen und seine eigenen Gedichte zur Perfektion bringen. Von der Perfektion war er nach Ansicht Ohios allerdings weit entfernt und sie führten oft hitzige Debatten. Deren Nichtigkeit löste bei Wieri, wenn er ab und zu den Kopf in Höpfners Bibliothek steckte, nur verständnisloses Kopfschütteln aus. Eines Tages hatte Höpfner Ohio sogar gebeten, sein Lehrer zu sein. Ohio brach in Lachen aus – und das kam nicht oft vor.
    „Höpfner“, sagte er. Sie nannten sich beim Nachnamen, denn Dr. Ohio wollte nicht „Charlie“ sagen. „Höpfner, ich bringe vielleicht einen halbwegs ansehnlichen Haiku zustande. Aber ich bin weit davon entfernt, irgendjemandes Lehrer zu sein. Und so soll es auch bleiben.“
    Und jetzt war Höpfner tot.
    Samtblaues Dunkel,
helle Nadeln durchbohren
die erstickende Nacht
    Es war ein Elend. Ohio war vor der Whiskyflasche auf der Couch eingeschlafen und wachte im trüben Morgengrauen auf. Seufzend hob er den Kopf und warf einen Blick zum Fenster hinaus. Wolkenfetzen trieben vorbei, ab und zu war ein Stück blauer Himmel zu sehen. Neben seinem Glas lagen Stift und Papier, aber nichts war daraufgeschrieben.
    Dr. Ohio fuhr sich durch die Haare, stand auf und ging ins Bad. Der Spiegel zeigte ihm einen Mann mit gräulicher Haut, auf den schmalen Wangen sprossen ein paar spärliche Bartstoppeln. Unterhalb der Augen hatten sich leicht violette Ringe gebildet. Seine vollen, angegrauten Haare standen in Büscheln vom Kopf ab.
    Ohio warf dem Mann im Spiegel einen beinahe erschrockenen Blick zu. Dann putzte er die Zähne, um den trockenen, etwas säuerlichen Geschmack der letzten Nacht aus dem Mund zu spülen. Er ging in die Küche und kochte Kaffee, als das Telefon klingelte.
    Sie ist nicht gekommen, dachte Ohio. Natürlich nicht.
    „Brigitte. Ich weiß schon. Du

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