Dr. Stefan Frank - Halt dich an mir fest!
aufstand und ihr die Hand reichte.
Selten hatte sie so spontan Zutrauen zu einem fremden Menschen gefasst. Und selten hatte sie einen so charmanten und unterhaltsamen Reisebegleiter gehabt.
„Ganz bestimmt“, versprach Dr. Frank. „Und wer weiß, vielleicht werden Sie noch meine Nachbarin in Grünwald! Sie haben ja meine Handynummer. Halten Sie mich auf dem Laufenden – denn nun bin ich wirklich neugierig geworden, was hinter der ganzen Geschichte steckt.“
Der Zug hielt, und Dr. Frank winkte Isabell noch einmal zu, dann stieg er aus. Draußen auf dem Bahnsteig blieb er stehen, wartete, bis der ICE sich wieder in Bewegung setzte, und hob noch einmal lächelnd die Hand.
Schade, dass er nicht zehn oder fünfzehn Jahre jünger und ungebunden ist, dachte sie. Ein Mann wie er wäre genau der Richtige für mich. Er ist ganz anders als Daniel …
Isabell spürte, wie ihre Nervosität zurückkehrte, die die Gesellschaft des Grünwalder Arztes für eine Weile vertrieben hatte. Sie hatten sich, nachdem das Thema Johannes Baldenau erst einmal abgehakt gewesen war, lebhaft unterhalten und viel zusammen gelacht. Doch nun lastete erneut die Ahnung drohenden Unheils auf ihr.
Knapp zwanzig Minuten würde es noch dauern, bis sie Düsseldorf erreichten. Dann musste sie den Bahnhof durchqueren, um zur Straßenbahnhaltestelle zu gelangen. Die Fahrt dauerte nicht lange, lediglich fünf Minuten, und danach würde sie ebenfalls nur ein paar Minuten brauchen, um zur Wohnung ihrer Mutter zu gelangen.
Isabell richtete ihren Blick auf die vertraute Umgebung draußen, allerdings ohne wirklich etwas wahrzunehmen. Es kam ihr vor, als führe der Zug dieses letzte Stück immer schneller, viel zu schnell. Und dann hörte sie schon die Ankündigung, dass sie gleich Düsseldorf erreichen würden.
Isabell erhob sich, zog ihre Jacke über und griff nach ihrer Tasche.
Vielleicht sollte ich einfach weiterfahren, dachte sie, genau so, wie sie am Morgen noch überlegt hatte, dass sie einfach kehrtmachen könnte.
Die Bremsen quietschten, der Zug hielt. Die junge Frau schob sich mit den anderen Fahrgästen zum Ausstieg und stand dann ein wenig hilflos auf dem Bahnsteig.
Ach komm, lass dich nicht hängen, ermahnte sie sich selbst und machte sich auf den Weg nach draußen. Dort blieb sie erst einmal an einem Imbiss stehen und kaufte sich zwei Reibekuchen – Reiberdatschi, wie man in München sagte.
Isabell hatte Hunger, und sie wollte vorsorgen, denn sie wusste, dass ihre Mutter mittags lediglich eine Miniportion Salat aß, und ganz sicher hatte Lydia nichts für ihre Tochter vorbereitet. Der Genuss war umso größer, weil sie wusste, dass ihre Mutter diese fettigen Köstlichkeiten verabscheute.
Komisch, dachte sie, dass Mama mich noch heute dazu bringt, mich wie ein trotziges Kleinkind zu benehmen.
Der Himmel war trüb und von grauen Wolken bedeckt. Na, das passte ja gut zu ihrer Stimmung.
Wie lange war sie nicht mehr in Düsseldorf gewesen? Mit neunzehn, also vor zehn Jahren, war sie zu Hause ausgezogen und fortgegangen, um in Frankfurt zu studieren. Dort hatte sie später auch ihre erste Stelle angetreten, doch irgendwie hatte sie sich in der Messe-Stadt nie wirklich heimisch gefühlt, und so war sie schließlich nach München umgezogen. Die bayerische Metropole lag so schön weit weg von Düsseldorf …
Früher, als ihr Vater noch gelebt hatte, war sie regelmäßig zu Besuch gekommen, doch seit seiner Beerdigung war sie nicht mehr in ihre Heimatstadt zurückgekehrt.
Sie vermisste ihren Vater schrecklich, und obwohl sie die schlimmste Trauer überwunden hatte, schmerzte es Isabell noch immer zutiefst, dass sie ihn nie wiedersehen, nie mehr mit ihm reden, nie mehr mit ihm lachen und ihn umarmen würde. Sie hätte alles dafür gegeben, wenn er wieder bei ihr sein könnte.
Ihre Mutter jedoch vermisste sie nicht. In den vergangenen anderthalb Jahren hatte sie kein einziges Mal den Wunsch verspürt, Lydia wiederzusehen. Den einzigen Kontakt zwischen ihnen bildeten jene unsäglichen Telefonate, auf denen ihre Mutter bestand – warum auch immer. Ganz bestimmt nicht, weil ihre Tochter ihr fehlte!
Lydia hatte Isabell stets das Gefühl vermittelt, nicht mehr als ein lästiges Anhängsel für sie zu sein. Nie hatte sie ihre Tochter umarmt oder getröstet, nie hatte Isabell sich bei ihr geborgen gefühlt. Hätte sie ihren Vater nicht gehabt, wäre sie entsetzlich einsam und verloren gewesen.
Viel zu früh, wie sie fand, kam die Bahn, die sie
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