Drachenelfen - Die gefesselte Göttin (German Edition)
Familie zu bringen. Wie lange hatte er nicht mehr geschlafen? Dreißig Stunden? Vierzig? Talawain bezweifelte, dass der Herrscher in der Nacht vor der Schlacht Ruhe gefunden hatte. Ausschweifende Erklärungen waren jetzt nicht angebracht. Er sollte schnell zum Wesentlichen kommen.
»Ihr habt Išta gestern im Licht der Sonne eine schwere Niederlage bereitet. In der Nacht kehrte sie zurück, um Euch auf einem anderen Schlachtfeld zu bekämpfen. Sie war es, die meine Gestalt annahm, hierherkam und mordete, damit Euch keine andere Wahl bleiben würde, als mich für das zu richten, was ich nicht getan habe.«
Aaron blickte zu ihm auf. Das Gesicht des Herrschers war bleich und abgezehrt. Sein üppiger schwarzer Bart zerzaust. Das lange, geölte Haar fiel ihm in schweren Locken auf die Schultern. »Das ergibt Sinn«, sagte er müde. »Aber sag mir, wo warst du in der letzten Nacht, wenn du nicht hier warst? Mataan hat mir eine sehr seltsame Geschichte erzählt.«
Talawain zögerte. Wie sollte er erklären, dass er in Frauenkleidern das Lager verlassen hatte? Und was würde geschehen, wenn er dem Unsterblichen verriet, wer er wirklich war? Ein Spitzel, der sich in sein Vertrauen geschlichen hatte, um ihn jahrelang zu verraten. Würde Aaron, wenn er das wusste, noch glauben, dass es ihm wirklich darum gegangen war, das Reich Aram zu schützen und das Leben für die Menschen besser zu machen? Wohl kaum.In diesem Moment erkannte Talawain, wie unentrinnbar er in das Gespinst aus Intrige und Verrat verstrickt war und wie perfide Ištas Tat war.
»Ich habe mich davongeschlichen, um unerkannt nach Nangog zu gelangen. Wie Ihr wisst, dienen mir dort viele Spitzel. Ich wollte in Erfahrung bringen, ob jemand etwas über Shaya weiß. Es gibt ein verborgenes Kloster, in das die Bräute nach der Heiligen Hochzeit gebracht werden … Aber niemand konnte mir sagen, wo genau es liegt.«
»Ich kann sie nicht mehr retten.« Die Stimme des Unsterblichen zitterte, als er sprach, und sein Antlitz war ein Spiegel seiner Seelenqual. »Wenn ich es versuche, stelle ich mich gegen die Gesetze der Götter. Dann werde ich alles verlieren, was ich gestern gewonnen habe, und der Tod all der Tausende, die jetzt im Staub liegen, wird vergebens gewesen sein. Kann ich so selbstsüchtig sein?« Er presste die Lippen zusammen, sodass sie nur noch ein blasser Strich in seinem bärtigen Gesicht waren. In seinen Augen schimmerten ungeweinte Tränen. »Man wird mich in den Gelben Turm rufen. Ich darf dort vor dem Löwenhäuptigen und all seinen Brüdern und Schwestern sprechen. Nie zuvor wurde einem Menschen eine solche Gunst zuteil. Vielleicht kann ich die Welt verändern. Es gäbe so vieles, was man besser machen könnte … Aber der Preis ist, dass ich meine Liebe verrate. Versuche ich, Shaya vor ihrem Schicksal zu bewahren, verliere ich alles. Unternehme ich nichts, verliere ich, was mir in meinem Leben am meisten bedeutet.« Er stieß einen gequälten Seufzer aus. »Ich kann nur beten, dass sie von Muwatta ein Kind empfangen hat. Ist das nicht der Fall, dann wird man ihr die Kehle durchschneiden, damit ihr Blut dem dürren Boden Luwiens Fruchtbarkeit schenkt.«
Sie sahen einander lange an. Der Unsterbliche wartete auf sei nen Rat. Doch Talawain wusste nicht, was er ihm sagen sollte. Was für ein Mann würde Aaron werden, wenn er das Glück des Reiches mit dem Leben Shayas erkaufte? Wäre er noch ein guter Herrscher? Oder würde er langsam zu einem verbitterten Tyrannen werden, der in seinem Volk einen Feind sah, der ihm entrissen hatte, was ihm im Leben am wichtigsten gewesen war.
»Ich glaube dir, Datames«, unterbrach Aaron seine Überlegungen. »Aber suche nicht weiter nach Shaya. Je weniger ich weiß, desto besser ist es.« Stöhnend erhob sich der Herrscher. Er tastete flüchtig nach seiner Schulter, an der er am Vortag verwundet worden war.
»In meinem Herzen habe ich immer gewusst, dass du niemals eine wehrlose Frau töten würdest, Datames. Ich bin froh, die Wahrheit erfahren zu haben.« Seine Stimme stockte.
Talawain musste an Aya denken, die Haremsdame, die er zur Löwengrube geführt hatte. Aaron irrte sich. Unschuldiges Blut klebte an seinen Händen. Er würde diesen Makel niemals abwaschen können. Beklommen sah er zu seinem Bett. Hätte er sich nicht mit Kazumi eingelassen, würde auch sie noch leben. Er hätte wissen müssen, dass er sie in Gefahr brachte.
»Und doch können wir deine Geschichte nicht erzählen. Sie würde dem
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