Drachenelfen - Die gefesselte Göttin (German Edition)
wirklichen Gefühle im Klaren bist, wenn du in deine letzte Schlacht in der Welt der Menschenkinder ziehst. Es wird dich stärker machen.«
»Und Ihr wisst etwas über meine Gefühle, Vater?«
»Glaub mir, Junge, ich hatte sehr viel Zeit, über falsches Ehrgefühl nachzudenken und so manches zu bedauern, was ich in meinem Leben getan habe. Ehre ist etwas, was noch weniger greifbar ist als die Liebe. Jeder versteht etwas anderes darunter. Die Ehre einer Frau kann in einer einzigen Liebesnacht vernichtet werden. Ich habe Gleiches aber noch nie über einen Mann gehört. Im schlimmsten Fall nimmt sein guter Ruf ein wenig Schaden, wenn er sich auf das Liebesabenteuer einlässt. Läuft ein Mann vor einem Kampf davon, ist seine Ehre dahin. Einer Frau – selbst einer Kriegerin – sieht man das nach. Und wie oft, wenn vermeintlich um die Ehre gekämpft wird, geht es in Wahrheit um dunklere Gefühle? Um verletzte Eitelkeit, den Wunsch nach Rache oder anderes … Wer für etwas Edles einsteht, der muss nicht die Ehre vorschieben, sondern nennt seinen Grund zu kämpfen beim Namen.«
Im ersten Moment war Talawain ärgerlich, und er wollte schon gehen, als ihm bewusst wurde, dass dies eine Flucht wäre. Diesmal würde er vor der Antwort fliehen, die sein Vater eingefordert hatte, und nicht vor der harschen Art Solaiyns.
Er blieb sitzen. Warum fiel ihm die Antwort so schwer? Tat er es wirklich für den Unsterblichen Aaron? Er würde ein besserer Herrscher sein, wenn er Shaya zur Seite hatte. Oder wollte er auf diese Weise Kazumi rächen, indem er Ištas Pläne durchkreuzte? »Ich glaube, ich tue es, weil Shayas Leben nicht verlöschen darf, und ich der Einzige bin, der dies noch verhindern kann.«
Sein Vater nickte. »Aber wohin soll die Prinzessin gehen, wenn du sie rettest? Sie kann niemals zu dem Unsterblichen zurückkehren, denn wenn sie erkannt wird, dann ist das ihr Tod, und auch dieser König Aaron wird in schwere Bedrängnis geraten. Zu ihrem Volk kann sie auch nicht mehr zurückkehren. Hast du dir das reiflich überlegt? Würde sie das Leben, das du ihr schenkst, wirklich haben wollen?«
»Ja.« Natürlich war er sich dieser Schwierigkeiten bewusst. Viele Nächte hatte er wach gelegen und darüber nachgedacht. Und es gab den einen einzigen, verzweifelten Weg, dieses Dilemma zu lösen.
Er verriet ihn seinem Vater.
Solaiyn sah ihn erschüttert an. Nie zuvor hatte Talawain Tränen in den Augen seines Vaters gesehen. Der alte Elf zog ihn an sich, hielt ihn in den Armen und wollte ihn gar nicht mehr loslassen. »Du bist ein besserer Mann, als ich es je war, mein Sohn. Ich bin stolz auf dich, und zugleich bin ich zutiefst verzweifelt über das, was du zu tun gedenkst.«
D er letzte Schlag
Der Goldene stieß in steilem Bogen hinab und flog nun dicht über der aufgewühlten See der weiten Meeresbucht entgegen, deren schwarze Klippen sich wie steinerne Wächter vor ihm erhoben. Gischt sprühte über seine weit gestreckten Flügel und perlte von seinem Schuppenleib ab. Wilde Böen griffen nach ihm, als wollten sie ihn von seinem Ziel fortzerren, jenem Höhleneingang, der nicht weit über der Tidenmarke im Fels klaffte. Im letzten Augenblick legte er die Flügel an den Leib, ließ sich von seinem Schwung weitertragen und landete mit vorgestreckten Krallen auf nassem Basalt. Leicht schlitternd kam er schließlich zum Halt.
Das Felsgestein erbebte unter den wütenden Wellen, die gegen die Steilklippen anrannten. Es war der bislang schlimmste Sturm in diesem Winter. Ein Tag, an den man sich noch lange erinnern würde. Aus vielerlei Gründen …
Der Goldene kroch tiefer in die Höhle, hinab zu jener weiten Grotte, in der er sich schon so oft mit seinen Nestbrüdern versammelt hatte. Als er den Platz in seiner Felsnische einnahm und den Blick durch die Runde schweifen ließ, musste er feststellen, dass er als Letzter gekommen war. Selbst Nachtatem, der so oft auf ihren Versammlungen gefehlt hatte, war anwesend.
Du hast sicherlich gute Gründe, uns mit so dringenden Worten zu dieser Zusammenkunft gebeten zu haben , eröffnete der Frühlingsbringer ihr Treffen. Er war höflich und pragmatisch wie immer. Der Goldene sah seinen Brüdern an, dass nicht alle so duldsam waren. Manche von ihnen verließen im Winter nur ungern ihre Refugien. Natürlich konnten sie sich gegen die Unbilden des Wetters wappnen. Ein Wort der Macht genügte, die Kälte zu bannen. Doch gegen das tief in ihrem Gemüt verwurzelte Bedürfnis, sich im
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