Drachenelfen - Die gefesselte Göttin (German Edition)
viele Jahre in Königreichen verbracht, in denen die gnadenlose Sonne allzu schnell jedes Grün vergilben ließ.
Nahe beim Haus standen blühende Kirschbäume. Nun spürte Talawain deutlich die Vielzahl von Zaubern, die gewoben waren, um den natürlichen Ablauf der Jahreszeiten dem Willen des Hausherrn unterzuordnen. Fast hatte er vergessen gehabt, wie sehr sein Vater diese Spiele liebte, wie viel es ihm bedeutete, alles in seiner Umgebung zu beherrschen. Es war einer der Gründe gewesen, warum er vor über einem Jahrhundert in die Blaue Halle geflüchtet war. Damals hatte er der Tyrannei entfliehen wollen. Und nun war dies der einzige Ort in ganz Albenmark, an den er gehen konnte. Überall anderswo würde man ihn aufhalten. Und ausgerechnet sein tyrannischer Vater, der Schatten, der über seiner Kindheit lag, hatte diese Macht für immer verloren. Deshalb kam er hierher. Talawain wusste nicht, ob Solaiyn ihm helfen würde. Er war sich nur sicher, dass der alte Fürst ihm keine Fesseln mehr auferlegen konnte.
Feiner, weißer Kies spritzte unter den Hufen, als er seinen Hengst zügelte und in eine langsamere Gangart fallen ließ. Im Säulengang des linken Flügels des Anwesens erschienen zwei Silene – bocksbeinige Tunichtgute mit wilden Bärten und waldgrünen Augen, in denen der Schalk glänzte. Einer der beiden eilte auf den Kiesweg und griff nach den Zügeln des Rappen. »Du erlaubst, dass ich dein Pferd unterstelle, Herr?«
Talawain musste unwillkürlich lächeln. Ihn Herr zu nennen und gleichzeitig zu duzen, war außergewöhnlich subtil für einen Silen. Das musste der Einfluss seines Vaters sein, der zweifellos diesen beiden Raufbolden ebenso seinen Willen aufgezwungen hatte, wie der Natur auf der Lichtung, die sein Heim umgab. Die beiden hatten noch nicht im Dienst seines Vaters gestanden, als er das letzte Mal hier gewesen war. Das musste vor … vierzehn Jahren gewesen sein. Ja, so lange war es her, dachte er bestürzt. Die Zeit war wie im Flug vergangen.
»Reib ihn trocken, und gib ihm etwas Hafer zu fressen«, befahl Talawain und schwang sich aus dem Sattel. Er trat in den Säulen gang und winkte dem zweiten Silen. »Bring mich zu Fürst Solaiyn.«
Der Bocksmann maß ihn mit düsterem Blick. »Ich glaube, der Fürst ist nicht in der Stimmung, Fremde zu empfangen. Er hat sich zurückgezogen. Bittsteller empfängt er erst morgen wieder.«
»Melde ihm seinen Sohn Talawain als Bittsteller, vielleicht ist er dann gnädiger gestimmt.«
Der Silen zog die buschigen Augenbrauen zusammen und musterte ihn argwöhnisch. »Du bist nicht tot?«
Talawain blickte lächelnd an sich hinab. »Offensichtlich nicht.«
»Aber alle …« Der Silen stockte, rang einen Moment mit sich und fuhr dann fort: »Gewiss wird dein Vater dich empfangen, junger Herr.« Er wandte sich um und eilte mit klappernden Hufen zum südlichen Flügel. Dort öffnete er die Tür zu einem langen Korridor und hielt inne. »Du findest deinen Vater in der kleinen Bibliothek hinter dem Tanzsaal. Um diese Tageszeit ist er immer dort und blickt hinaus aufs Meer. Vielleicht ist es besser, wenn du gleich selbst zu ihm gehst, junger Herr. Mir würde er womöglich nicht glauben, wenn ich von deiner Ankunft berichte.«
Wie es schien, war sein Vater noch tyrannischer geworden, dass der Silen ihn so sehr fürchtete. Der bocksbeinige Diener verbeugte sich und Talawain betrat den Korridor. Fast dreißig Schritt maß der lichtdurchflutete Gang, der sich entlang des ganzen Südflügels des Hauses erstreckte. In Wandnischen waren Statuen aufgestellt, Arbeiten der erlesensten Bildhauer Arkadiens. Talawain entdeckte zwei neue Standbilder, die seit seinem letzten Besuch hinzugekommen waren. Eines zeigte einen gebückten Athleten, der seine Beinmuskeln dehnte. Das zweite einen Jäger mit gesenktem Bogen, der in die Ferne spähte. Beides waren nackte Männer.
Schmunzelnd erinnerte er sich an die Kommentare seiner beiden kleineren Schwestern über die nackten Männer. Wie sie mit errötenden Wangen gekichert hatten. Als Kinder hatten sie hier manchmal heimlich Verstecken gespielt und sich dabei hinter die Sockel der Standbilder gezwängt. Dabei hatte sein jüngerer Bruder einmal aus Versehen den Finger eines marmornen Kobolds abgebrochen. Ihr Vater Solaiyn hatte ihn zur Strafe dafür drei Tage ohne Licht in die Familiengruft gesperrt. Alles Bitten und Flehen hatte ihn davon nicht abbringen können. Als Asfahal seine Strafe abgesessen hatte, war er verändert
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