Drachenelfen - Die gefesselte Göttin (German Edition)
inzwischen fast das gewaltige Portal erreicht, hinter dessen Tor sich die Goldenen Pfade verbargen. Sie wagte nicht, ihr Kreidezeichen dort anzubringen, doch beschmierte sie eines der Beine des geköpften Löwenhäuptigen. Der Priester hielt den Atem an. Er hatte dem Gott schon gegenübergestanden. Er hätte nicht den Mut, ihn auf solche Weise herauszufordern. Dass eine Statue den Kopf verloren hatte, sagte gar nichts über die Macht oder Ohnmacht der Devanthar aus. Wer darin ein Zeichen sah, war naiv.
Barnaba wartete im Schatten, bis die Bettlerin ihr Werk vollendet hatte. Morgen würde es neue Geschichten über die Grünen Geister und ihre Götter geben und über die Schwäche der Devanthar, die nicht zu verhindern vermochten, dass selbst ihre Statuen beschmiert wurden. Er lauschte auf das leise Flötenspiel. Als ein fernes Keifen kurz darauf die unheimliche Stille über dem Platz störte, eilte die Bettlerin auf die Sonnenallee zu. Jetzt bewegte sie sich mit kräftigen, ausgreifenden Schritten, und nun hielt sie die Bettlerschale fest. Kein Klappern begleitete sie mehr. Auch das Flötenspiel war verstummt. Die nimmermüde Stadt schien den Atem anzuhalten.
Der Priester sprang auf, um ihr nachzusetzen, bevor sie in der Dunkelheit verschwand. Er erreichte die breite Allee gerade noch rechtzeitig, um sie in eine der schmalen Gassen abbiegen zu sehen, die von der Prachtstraße abzweigten. Sein Herz schlug schmerzhaft gegen seine geprellten Rippen. Jeder Knochen in seinem Leib ächzte. Die Bettlerin war ganz sicher kein Krüppel, so wie sie sich jetzt bewegte. Ganz im Gegensatz zu ihm. Hatte sie ihn bemerkt? Oder war es nur Vorsicht, sich so eilig davonzumachen?
In seinen Ohren dröhnte das Summen von Fliegen. Branaba wedelte mit der Hand vor seinem Gesicht und wurde sich fast sofort bewusst, dass da nichts war. Er musste das in den Griff bekommen! Und er durfte nicht so leicht aufgeben! So schnell seine geschundenen Knochen es zuließen, strebte er der Gasse entgegen, in die die Bettlerin verschwunden war. Schon nach wenigen Schritten mündete sie in eine steile Treppe, die zu tiefer gelegenen Terrassen der Stadt führte. Barnaba seufzte. Dies war die Stadt der Treppen. Sie war an einem steilen Hang erbaut. Nur Wege, die parallel zu diesem Hang verliefen, waren eben, für alle anderen benötigte man kräftige Beine.
Argwöhnisch spähte der Priester ins Dunkel. Kein Mondlicht fiel in den finsteren Spalt zwischen den Häusern. Vorsichtig, sich Schritt um Schritt vorwärtstastend, stieg Barnaba die Treppe hinab. Wäscheleinen spannten sich wie ein riesiges Spinnennetz zwischen den dunklen Häuserwänden. Es troff feucht auf ihn hinab. Der Gestank von Urin, billiger Kohlsuppe und ranzigem Öl hatte sich in das Mauerwerk eingenistet. Der Geruch der Armut und Hoffnungslosigkeit. Der Geruch einer Welt, die Träume fraß, dachte Barnaba bitter. Nicht einmal für jeden zehnten Mann hier gab es eine Frau. Kaum ein Weib kam freiwillig nach Nangog, außer Huren vielleicht. Die Frauen blieben hier unfruchtbar. Warum es so war, gehörte zu den Mysterien dieser fremden, geheimnisvollen Welt.
Barnaba erreichte einen Abzweig, an dem eine noch engere Stiege nach links in die Dunkelheit führte. Hier, am Scheideweg, war das Netzwerk aus Wäscheleinen lichter, und ein wenig vom Schein der Zwillingsmonde erreichte die schmutzigen Treppenstufen.
Der Priester entdeckte an zwei Hauswänden das grüne Geschmiere der Götzenanbeter. Es war allgegenwärtig in der Stadt. Wie viele Bewohner wohl heimlich den Geistern Nangogs huldigten? Als er schließlich den Abdruck eines nackten Fußes im Schutz des Bodens sah, wusste er, dass die Bettlerin die enge Stiege gewählt hatte, die weiter hinab in die dunklen Eingeweide der Stadt führte. Mit zuversichtlichem Lächeln folgte er dem Weg, der so eng war, dass seine Arme die Hauswände streiften, und war schon bald wieder ganz und gar von Finsternis umfangen.
Plötzlich griff eine Hand nach ihm. Er wurde in einen Hauseingang gezerrt und gegen die Wand gedrückt. Etwas Kühles, Schartiges presste sich an seine Kehle. »Du glaubst, du kannst uns nachschnüffeln?«
»Ganz im Gegenteil«, entgegnete Barnaba, bemüht, sich seinen Schrecken nicht anmerken zu lassen. »Ich bin froh, gefunden worden zu sein.«
»Was ist das für ein närrisches Geschwätz?« Der Druck der Klinge an Barnabas Kehle verstärkte sich.
»Ich bin auf der Suche nach euch, um mich euch anzu schließen.«
»Um dich uns
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