Drachengasse 13, Band 01: Schrecken über Bondingor (German Edition)
ausgesprochene Gedanken können dir entfleuchen. Und dann flattern sie wie Schmetterlinge umher, hierhin und dorthin. Es ist unglaublich schwer, sie wieder einzufangen .“ Er warf ihr über den Rand seiner Nickelbrille hinweg einen warnenden Blick zu.
„Ja, Magister Kleiblatt “ , sagte Hanissa artig und schenkte dem Mann ein Lächeln. Die meisten Dozenten der Magischen Universität waren ja wirklich nette, alte Herren, aber manchmal kam es ihr vor, als wohne sie in einer Gemeinschaft voller Verrückter.
Hanissa ließ Magister Winhelm Pappadocis Kleiblatt, den Dozenten für Kräuterkunde, am Tor zurück und spazierte über den Campus auf die Wohngebäude zu. In den hohen Bäumen zwitscherten bunte Vögel. Studenten saßen auf Bänken und unterhielten sich. In einem der Türme knallte es dumpf, und eine blaue Qualmwolke drang aus den offenen Fenstern im obersten Stockwerk.
Die Gebäude und Anlagen der Magischen Universität waren kreisförmig um den hohen Turm des Großmagisters herum angeordnet. Im inneren Bereich standen drei Türme wie an den Ecken eines Dreiecks. Die Zauberer nannten sie – erstaunlich fantasielos – die Drei Türme . Um sie herum befand sich ein Ring aus Wohngebäuden – kurz Ring genannt – , in dem die Dozenten lebten. Dann kamen die Fünf Türme , die sich an den Spitzen eines aus Wegen gebildeten, fünfstrahligen Sterns erhoben. Ein großzügiges Quadrat aus Gebäuden – das schlicht Quadrat hieß und in dem die Studenten untergebracht waren – umschloss sie. Darauf folgten die weitläufigen Außenanlagen der Universität, darunter der botanische Garten und die Gehege für exotische Tiere. Dieser Bereich schließlich war von einer weiten, kreisrunden Mauer umgeben, aus der sich die Sieben Türme erhoben, drei im Süden, drei im Norden und einer im Osten. Im Westen lag das Eingangstor des Campus.
Hanissa wohnte mit ihrer Mutter Corinda im Ring . Das lag daran, dass Hanissas Mutter die Küche der dortigen Kleinen Mensa leitete, in der die Dozenten aßen, während die Studenten ihre Mahlzeiten in der Großen Mensa im Quadrat einnahmen.
Dadurch konnte Hanissa leicht in die Bibliothek und die Experimentierstuben der Magister schleichen, die auch im Ring untergebracht waren. Diese Räume waren ein Hort spannenden Wissens. Und Hanissa sog Wissen auf, wann immer niemand hinschaute.
Auch heute Nacht wollte sie zur Bibliothek. In der Abteilung „Verwandlungsmagie “ würde sie bestimmt ein geeignetes Gegenmittel finden, um den armen Fleck von seinem schrecklichen Schicksal als Nachtfresser zu erlösen.
„Hallo, Hanissa, wie war dein Tag ?“ , begrüßte ihre Mutter sie, als das Mädchen die Wohnung betrat.
„Gut “ , sagte Hanissa, während sie rasch ihre Tasche mit dem Weitsehglas in ihr Zimmer brachte.
Bei ihrer Unterkunft handelte es sich um eine winzige Wohnung, die aus einem Esszimmer, dem Schlafzimmer ihrer Mutter und Hanissas Stube bestand. Aber es war trotzdem mehr, als viele andere Bedienstete der Universität hatten: Die meisten mussten sich zu zweit ein einzelnes Zimmer teilen. Deshalb wäre Hanissa nie auf den Gedanken gekommen, sich über ihre Bleibe zu beschweren.
Als Hanissa sich umdrehte, stand Corinda im Türrahmen, die Hände vor der Brust verschränkt. Ein Leben in der Küche hatte seine Spuren bei ihr hinterlassen. Sie neigte zur Fülle, und ihre Wangen waren stets leicht gerötet. Das unbändige rote Haar, das Hanissa von ihr geerbt hatte, trug Corinda zu einem Knoten zusammengebunden. In ihren braunen Augen lag sichtlicher Tadel. „Du warst heute schon vor Sonnenaufgang fort “ , sagte sie vorwurfsvoll.
„Ich habe doch einen Zettel geschrieben und erklärt, dass ich den Sonnenaufgang beobachten will “ , verteidigte sich Hanissa.
„Aber nicht hier auf dem Gelände der Universität .“
Hanissa schaute ein wenig schuldbewusst drein. „Nein. Ich war im Gnomen-Eck. Der Ausblick vom Tempel ist einfach wundervoll .“
Ihre Mutter seufzte. „Hanissa, du weißt, dass ich es nicht mag, wenn du dich im Dunkeln allein in der Stadt herumtreibst !“ Dass Corinda sie Hanissa und nicht Nissa nannte, war ein deutliches Zeichen dafür, wie verärgert sie war.
„Aber ich war gar nicht allein. Tomrin hat mich begleitet .“
„Dieser Junge, den du vorgestern erst kennengelernt hast ?“ Ihre Mutter runzelte die Stirn.
„Tomrin ist der Sohn des Hauptmanns der Stadtgarde !“ , protestierte Hanissa. „Er würde niemals zulassen, dass mir etwas zustößt! Er
Weitere Kostenlose Bücher