Drachengasse 13, Band 01: Schrecken über Bondingor (German Edition)
„Wir brauchen eine Auskunft .“
„Eine Auskunft ?“ Osrum hatte die Tür zu den Stallungen bereits halb geöffnet. Nun hielt er inne und hob die buschigen Brauen.
„Wegen des Nachtfressers “ , gestand Tomrin leise. Er schien Mühe zu haben, darüber zu sprechen. „Wir … Wir sind ihm heute Morgen gefolgt und … “
„Ihr seid was ?“ Der eben noch so freundliche Alte riss dieAugen auf. Rasch schloss er die Tür wieder und stemmte die Fäuste in die Hüften. „Tomrin von Wiesenstein, weiß dein Herr Vater, was du mir hier berichtest ?“ Erwirkte ziemlich wütend – und gleichzeitig sehr besorgt.
Tomrin senkte beschämt den Kopf und schwieg. Er schien auf die Standpauke zu warten, die Osrum ihm nun zweifellos halten würde.
Hanissa seufzte. „Alles muss man selber machen “ , hörte Sando sie flüstern. Lauter sagte sie: „Wir sind dem Nachtfresser ins Ostend gefolgt und haben herausgefunden, dass er sich verwandelt. In einem Moment ist er ein furchtbares Ungetüm, im nächsten ganz winzig. Und irgendwie ängstlich, wie uns schien. Herr Drachenschild, wisst Ihr von Drachen, die sich verwandeln können ?“
Eine ganze Weile lang sagte Osrum nichts. Stattdessen bedachte er Hanissa und die anderen mit einem Blick, den Sando nicht deuten konnte. Sorge schien darin zu liegen, aber auch Schmerz und … Scham? , fragte sich der Hafenjunge verwirrt.
Die sonnengebräunten Wangen des Alten wirkten, als hätten sie mit einem Mal an Farbe verloren. Seine Hände fielen schlaff herab. Seine Lippen waren zu einem schmalen, verkniffenen Strich zusammengepresst.
Sando spürte geradezu, dass ihnen eine wichtige Enthüllung bevorstand.
Endlich kam wieder Leben in Osrum. „Folgt mir “ , brummte er knapp. „Kein weiteres Wort hier draußen, klar ?“ Damit wandte er sich um und ging schnellen Schrittes auf das Verwaltungsgebäude zu, ohne weiter auf Tomrin, Hanissa und Sando zu achten.
Die sahen sich fragend an. Dann folgen sie ihm ratlos.
Fünf Minuten später saß die Drachengassenbande vor dem vielleicht klobigsten Schreibtisch in ganz Bondingor. Es war ein Monstrum aus dunklem Holz, und sein Gewicht machte sicher dem von Dora Konkurrenz. Die Oberfläche war mit Briefen, Protokollbüchern, Kerzen und anderen Gegenständen bedeckt. Irgendwo lugte sogar ein halb verzehrtes Käsebrot hervor. Osrum, der Herr über dieses Chaos, hatte es sich auf der anderen Tischseite in einem mit abgewetzten Decken behangenen Stuhl bequem gemacht. Er schob einige Unterlagen von links nach rechts, als müsse er sie ordnen, um seine Gedanken zu ordnen. Fast schien es, als hätte er Sando und seine Freunde vergessen.
Das konnte man von dem knapp ferkelgroßen Zwergdrachen leider nicht sagen, der mit ihnen im Raum war und gerade interessiert an Sandos rechtem Bein schnupperte. Das Tier war blaugelb und seine Haut unglaublich runzlig. Seine Flügel überragten seinen Leib, und wenn der Drache sich aus seinem Kissenlager über die Holzbohlen schleppte, zog er das linke Hinterbein auffällig nach. Er hieß Burps, wie Osrum ihnen beim Eintreten verraten hatte. Wann immer das mürrische Tier nicht gerade heiser knurrte und den dreien finstere Blicke zuwarf, rülpste es mit einer Selbstverständlichkeit Schwefelduft in den Raum, als gehöre die Welt ihm, und wem der Gestank nicht passe, dürfe gerne gehen.
Die Wände von Osrums kleinem Zimmer waren kahl. Hier und da hing eine Öllampe, die in dunklen Stunden Licht spendete, doch noch fiel Sonnenlicht durch das Fenster zum Hof.
„Ihr wart also beim Nachtfresser .“ Es war eine Feststellung, keine Frage. Osrum vergrub das Gesicht in den gewaltigen Händen und wischte sich über die Wangen. „Das heißt, ihr habt Fleck kennengelernt. Früher oder später musste es wohl so kommen .“
„Fleck ?“ , hakte Hanissa nach. „Der Nachtfresser hat einen Namen ?“
„Jedenfalls heißt er nicht Nachtfresser “ , brummte Osrum ungehalten. „Was ihr da verfolgt habt, stammt nämlich von hier, aus meiner Schule. Und es ist kein Monster aus irgendeinem Dämonenreich! Fleck kam in meinen Ställen zur Welt. Als Flugdrache, der nicht fliegen konnte … “ Er hielt kurz inne, bevor er fortfuhr. „Wisst ihr, was mit Drachen geschieht, die einen Geburtsfehler haben? Sie werden getötet. So will es das Gesetz! Aber das brachte ich nicht übers Herz. Fleck ist so unschuldig … “
Überrascht blickten Sando und Tomrin einander an. Das Ungeheuer, das seit Tagen ganz Bondingor in Angst und
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