Drachengold: Roman (German Edition)
beim bloßen Gedanken an ein Fortgehen einsam und verlassen.
»Ich glaube, wir waren hier sehr glücklich, oder?«, sagte Temeraire, und es klang weniger wie eine Frage als wie eine Feststellung. »Und ich will die Dinge eigentlich nicht unvollendet zurücklassen, aber …« Er schaute Laurence an. »Willst du denn lieber hierbleiben?«
Ein paar Stunden später döste Temeraire ein. Eine Handvoll kleinerer Feuer in der Nähe des Lagers brannte herunter und hinterließ cremig gelbe Glutasche. Über ihren Köpfen spannte sich das weite Netz der südlichen Sterne. Von der anderen Seite des Tales her hörte Laurence schwach die Melodie eines Liedes, das zu weit entfernt war, als dass er die Worte hätte verstehen können. Es stammte von den Wiradjuri, die ihr Sommerlager am Fluss aufgeschlagen hatten.
Morgen war Dienstag. Normalerweise würde er hinuntergehen, um sich mit ihnen zu treffen und mit ihnen Waren auszutauschen. Außerdem würde er sie um ihre Zustimmung für Temeraires nächsten Schritt beim Bau seines Pavillons bitten. Er hatte vor, Bauholz aus einer Gruppe großer, alter Bäume im Norden des Landes zu gewinnen, um die Wände zu verkleiden und die Räume auszustatten, die er selbst und ihre menschlichen Gäste bewohnen sollten.
O’Dea würde mit der Post nach Sydney aufbrechen und eine Woche später vielleicht mit ein paar neuen Büchern zurückkehren. In der Zwischenzeit würden sie den restlichen Fußboden verlegen, und zwei Männer waren bereits dafür ausgesucht worden, die Schindeln für das vorgesehene Dach anzufertigen. In einigen Tagen musste das Vieh auf eine andere Weide gebracht werden. An den Abenden wollte sich Laurence dann unter Temeraires Anleitung durch den neuen chinesischen Poesieband kämpfen. Das Leben würde seinen gewohnten Gang gehen.
Stattdessen könnten sie sich aber auch in die Luft schwingen und erst nach Port Jackson und dann nach Brasilien fliegen, als wären sie ein paar Kieselsteine, die an Land gespült worden waren, wo sie kurze Zeit liegen blieben, ehe sie von der heranrückenden Flut wieder ins Meer zurückgeholt wurden.
Laurence wusste, dass die Entscheidung längst getroffen war, vielleicht sogar schon, bevor Hammond zu sprechen angesetzt hatte. Er wünschte, sich sicher sein zu können, dass seine Wahl nicht von seinem Stolz und von der schmerzhaft auf ihm lastenden Schande beeinflusst worden war. Mehr als einmal hatte er sich bemüht, seinen Frieden mit seinem eigenen Verrat zu schließen, weil es ein notwendiges Übel gewesen war. Aber er kam nicht umhin zuzugeben, dass Hammond ihn mit einem reizvollen Angebot erpresste. Es war nun so leicht, zu hoffen und zu planen, dass Temeraire und er in den weiteren Kreisen der Welt mehr Gutes als Schlechtes bewirken würden, wenn sie wieder in diese Sphäre zurückkehrten. Noch leichter kam es ihm allerdings vor, falschen Hoffnungen hinterherzujagen.
Am allerleichtesten jedoch war es zuzulassen, dass diese Ängste ihnen mehr zum Gefängnis wurden als die vielen Meilen des Meeres, das sie umgab. Laurence legte eine Hand auf die warmen Schuppen von Temeraires Vorderbein. Wenn sonst schon nichts zählte: Temeraire war nicht dazu geeignet, faul in einem friedlichen Tal am weit entfernten Ende der Welt herumzuliegen.
Temeraire öffnete eines seiner blauen Augen einen Spalt weit und stieß einen verschlafenen, fragenden Laut aus.
»Nein, nein, schlaf weiter, alles ist gut«, sagte Laurence, und als sich das Lid wieder geschlossen hatte, stand er auf und ging hinab zum Fluss, um sich den Bart abzurasieren.
2
»Ich finde einen Pavillon ohne Dach nicht besonders überzeugend«, sagte Iskierka mit schier unerträglichem Hochmut. »Außerdem kannst du ihn nicht mitnehmen. Er wäre also auch dann völlig überflüssig, wenn er bereits fertiggestellt wäre. Ich denke, niemand wird mir widersprechen, wenn ich behaupte, dass ich meine Zeit besser zu nutzen gewusst habe.«
Temeraire hätte sehr gerne voller Inbrunst widersprochen. Iskierka hatte jedoch bereits einige ihrer Mannschaftsmitglieder – die in Madras frisch an Bord genommen worden waren – losgescheucht, um ihre Truhen aus dem Schiffsrumpf heraufzuschaffen, damit sie die Deckel öffnen und somit das Sonnenlicht die angehäuften goldenen Schätze zum Funkeln bringen konnte. Temeraire entdeckte sogar eine kleine Schatulle voller wunderschön geschliffener Edelsteine, und mit einem Mal kamen ihm seine kämpferischen Argumente, die ihm bei Iskierkas Bemerkung auf der Zunge
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