Drachenkaiser
eigene Hand, um etwas von dem wiedergutzumachen, was du angerichtet hast.«
Pü Yi packte den Spieß und entriss ihn Silenas Händen. Sie hatte keine Kraft mehr – aber er rutschte über die Klinge und schnitt sich dabei, ohne dass die Wunde verheilte!
Wie geht das? Silena sah genau, wie das blaue Blut aus dem Spalt sickerte und zischend auf die nassen Ziegeln tropfte. Sie war derart perplex, dass sie Brieucs Worte vergaß. Wieso greift der Fluch nicht mehr?
Pü Yi sah ebenso überrascht aus wie die Drachenheilige. Dann grollte er, warf den Spieß weg und kam auf sie zu.
Meine Schwäche ist seine Schwäche! Ich sterbe, verstand Silena im Niedersinken plötzlich. Und aus irgendeinem Grund wurde der Schutzzauber dadurch langsam aufgehoben. Mit jedem Tropfen mehr. »Ich sterbe!«, sagte sie zu Brieuc und tastete mit der Hand nach ihrer Verletzung. Warm sickerte der Lebenssaft über ihre Haut. Löst der Fluch sich auf, weil ich mir die Wunde selbst zugefügt habe? »Deswegen kann man ihn verletzen! Sobald ich tot bin, werden Sie ihn …«
Das Tor zum Hof der Halle flog auf, und die Mandarine eilten herein. Die fünf Minuten waren vorüber. Natürlich sahen auch sie die Menschen auf dem Dach und riefen laut. Wachen kamen bereits hereingerannt und stürmten auf die Halle zu.
Brieuc unternahm ansatzlos einen Ausfall und schlug dem Drachenkaiser den Zweihänder in die linke Seite des Brustkorbs. »Im Namen des heiligen Brieuc: Vergehe!«
Ächzend stürzte Pü Yi auf die Ziegel nieder, seine Bewegungen waren schwach. Er hatte niemals damit gerechnet, auf diese Weise überrascht zu werden. Zischend verwandelte sein blaues Blut Wasser in stinkenden Dunst. Die Finger rutschten hilflos über die glasierte Oberfläche. Seine Lider waren weit aufgerissen
Brieuc schleuderte die Gasgranaten in den Hof und durch die Luke. »Ich muss gehen. Es sind mir zu viele Schlitzaugen unterwegs.« Er erklomm die Mauer und erschoss zwei Wächter, die auf ihn zurannten. »Sterben Sie wohl und erlösen Sie die Welt. In zweifachem Sinn«, rief er zum Abschied und verschwand aus ihrem Sichtfeld.
Er hat mich getäuscht. Silenas Beine gaben nach, sie sank nieder. Die ganze Zeit hat er mich getäuscht und nur darauf gewartet, mich töten zu können. Zur Hölle mit dem Officium! Drachenkaiser und Drachenheilige lagen sich gegenüber, in beider Augen zeigte sich der Tod.
Sie bat ihr ungeborenes Kind um Verzeihung, weil es mit ihr sterben musste. Das Gas, das aufstieg, brachte sie zum Husten. Schmerzen hatte sie keine, ihren Körper spürte sie beinahe nicht mehr. Grigorij… Sie wünschte sich so sehr, ihn noch einmal zu sehen. Was wird jetzt aus ihm? Wer findet und rettet ihn? Oder hat ihn Brieuc umgebracht… Sie wurde leicht und fühlte sich, als fliege sie in dem plötzlich sehr starken und lauten Wind davon. Tränen stiegen in ihre Augen. Grigorij …
Pü Yi streckte die zitternde Hand aus, sagte etwas zu ihr, das sie nicht verstand.
»Das ist der Tod, Geschuppter«, sagte sie schwach. »Du vergehst mit mir.« Die Gasschwaden wurden dichter, der Drachenkaiser verschwand darin.
Plötzlich tauchten Gestalten um sie herum auf. Ein Mann mit meeresblauen Augen, der ein Seil um sich geschlungen hatte, das senkrecht in die Wolken führte, beugte sich über sie. Der Tod sieht aus wie Grigorij mit Gasmaske.
Er nahm Silena in die Arme, dann schwebten sie gemeinsam empor, dem Himmel entgegen. Als sie das Grau durchstießen, er kannte sie ihren Irrtum: Sie wurden an einem echten Seil nach oben gezogen, in den Bauch eines Luftschiffs. Ihres Luftschiffs!
Das ist die Lena! Es war nicht der Tod, der gekommen war, um sie zu holen, sondern der echte Grigorij, der sie aus Pü Yis Fängen retten wollte – ohne zu wissen, dass er dem Drachenkaiser damit das Leben bewahrte.
»Nein«, sagte sie und klang in ihren eigenen Ohren piepsig, mädchenhaft. Sie hatte kaum mehr Kraft, fühlte sich unendlich müde.
Er zog die Gasmaske ab und schleuderte sie achtlos in die Tiefe. »Endlich!«, sagte Grigorij erlöst zu ihr und schluckte; hastig rieb er sich eine Träne aus dem Augenwinkel. »Du wirst nicht sterben!«
»Aber Pü Yi… er ist noch… am Leben.« Sie berührte sein Gesicht. »Grigorij, du musst mich sterben lassen, damit er vergeht. Es hängt so vieles von seinem Tod ab. Ich kann die Verantwortung für ein Scheitern nicht tragen!«
»Niemals«, gab er erschrocken zurück. »Ich übernehme sie. Du bist mir das Liebste, das ich nicht aufgeben kann
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