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Drachenkaiser

Drachenkaiser

Titel: Drachenkaiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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wieso?«
    Ich kann nicht zulassen, was du und dein übereifriger Freund tut. Nie-Lung sah auf seine verschmierte Klaue. Ich muss euch verschwinden lassen.
    Klara nahm seine Worte wahr und konnte sie dennoch nicht verstehen. Es war ihr unbegreiflich, welch ungerechten Lohn sie für ihre Tat erhielten. Die Wochen der Planung, die umfangreichen Vorbereitungen, um den Göttlichen aus der Gefangenschaft zu holen … Und jetzt lässt er mich dafür umbringen? Sie wich zwei Schritte vor der abwartenden Kreatur zurück. »Nein«, flüsterte sie geschockt. Ihr Leben und ihre Ideale, die sie in den Dienst der Drachenfreunde gestellt hatte, erschienen auf einen Schlag sinnlos und vergeudet.
    Jemand hielt ihre Kehle von hinten fest und schlug ihr in den Rücken. Zumindest dachte Klara das, bis sie die lange Spitze aus ihrer Brust ragen sah, an der Blut haftete. Ihr Blut! Dann kam der peinigende Schmerz und gleich darauf der zweite Stich zusammen mit dem erlösenden Tod, bevor sie etwas zu sagen vermochte.
    Wu Li machte achtlos einen Schritt über die junge Frau hinweg, die er soeben beiläufig ermordet hatte, und schritt auf Nie-Lung zu. Dabei veränderte sich seine Haltung, er wurde regelrecht kleiner und zeigte seine Unterwürfigkeit, seine Schuld. »Vergebt mir und meinen Männern, dass Euch diese Menschen belästigt haben, Läozi.« Er verneigte sich tief vor ihm.
    Ich vergebe dir, Wu Li. Der Drache kehrte in den Käfig zurück, rollte sich halb zusammen und legte den Kopf auf die geschuppten Vorderläufe. Auch du konntest nicht damit rechnen, dass sich Drachenfreunde berufen fühlen, mich befreien zu wollen. Dann lachte er leise. Schade, dass wir sie töten mussten, doch auf die Schnelle gab es keine bessere Lösung. Es wimmelt draußen nur so von Besuchern. Wir brauchen nicht noch mehr Aufmerksamkeit. Keine solche.
    »Ja, Läozi.« Wu Li gab mit einer Handbewegung Anweisung, die Leichen wegzuschaffen und die Lache aufzuwischen. Ein Chinese trat in den Käfig und säuberte Nie-Lungs blutige Klaue. »Die Bomben lasse ich sofort suchen. Um den Zeppelin kümmere ich mich ebenfalls.«
    Ich habe volles Vertrauen in dich.
    Wu Li verneigte sich erneut; auf dem langen, schmalen Gesicht zeigte sich ein Anflug von Stolz. »Wir machen nach Weihnachten also weiter wie bisher, Läozi?«
    Sicher. Eine bessere Tarnung als diesen Zirkus gibt es nicht für unsere Mission. Nie-Lung schloss die Lider und schnaubte; es roch bitter und schwefelig im Zelt. Lass die Menschen zu mir kommen, sobald das Blut aufgewischt ist. Sie sollen einen echten Drachen aus Asien zu Gesicht bekommen. Doch schärfe ihnen nochmals ein, keine Steinchen nach mir zu werfen, während ich mich schlafend stelle, damit ich ihren Anblick nicht ertragen muss. Sollte eines der Bälger es dennoch tun, werde ich mich noch vergessen!
    Wu Li lächelte und verbeugte sich. »Gewiss, Läozi. Niemand wird Euch belästigen.« Er sah nach den Arbeitern, die soeben die letzten Flecken aufgewischt hatten. »Tragt die Leichen zu den anderen«, befahl er. »Sie sollen zu Löwen- und Krokodilfutter verarbeitet werden.«
    Er scheuchte sie hinaus, trat ins Freie und öffnete den dunklen Vorhang. »Verehrte Herrschaften«, rief er mit getragener Bassstimme. Die Aufmerksamkeit war ihm sicher. »Kommt und seht Nie-Lung! Den wahren Nie-Lung. Doch erinnern Sie sich an das Schicksal der Hunnen: Wer seinen Schlaf stört«, er sah drohend einen kleinen Jungen an, dessen spitzbübisches Grinsen abrupt erlosch, »wird von ihm verspeist!« Wu Li zwinkerte den Eltern entwarnend zu, die daraufhin lachten und ihren verunsicherten Sprössling durch den Eingang schoben.
    Der Meister der Traumkugeln blickte über den Platz, auf dem Männer, Frauen und Kinder von Wagen zu Wagen gingen und die fremdartigen Tiere bestaunten, und strich über seinen Kinnbart. »Gafft nur«, murmelte er lächelnd. »Gafft, ihr eingebildeten Europäer. Nicht lange, und ihr gehört zu uns«

I.
23. Dezember 1926, Neu-Edinburgh, Provinz Schottland, Königreich Großbritannien
    Kalter Regen nieselte auf Neu-Edinburgh nieder; dazu kroch der Nebel durch die Straßen und Gassen und brachte den Gestank der Kanalisation und nach erloschenen Bränden mit. Das penetrante Odeur von Verfall passte so gar nicht zu der ehemals so stolzen Stadt.
    Grigorij Wadim Basilius Zadornov stand auf dem Gehweg der belebten Queen Street und betrachtete die Baugerüste, die sich überall schemenhaft erhoben: In jedem Winkel wurde renoviert oder neu erbaut.

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