Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition)
würde dieser gefährlichen Zone schon instinktiv ausweichen. Nur ein einziges Mal in der Geschichte der Segelraumfahrt hat es einen Zwischenfall gegeben – da wurden der Con Ticci Viracocha die Großsegel und die Großroyalrah weggedampft. Harmlos, gemessen an der unvorstellbaren Vernichtungskraft dieses unsichtbaren Fokus.
Noch bevor der Wantentrailer im dunklen Schacht verschwindet, sieht Skamander, wie sich die großen Zölostatspiegel am Bug des Drachenkreuzers träge drehen. Aha, Flakke hat es also tatsächlich auf den Katarakt abgesehen, denkt er. Da haben wir ein paar Tage Knochenarbeit vor uns, müssen ständig in die Wanten, um die Turbulenzen auszugleichen, mal die Royalsegel brassen, dann die Bramsegel reffen – na, das kann was werden!
Dauernd über einem bestimmten Punkt der Sonnenoberfläche zu schweben ist schwieriger, als sie zu überfliegen, erst wollte Skamander das auch nicht glauben. Flakke nannte es damals: auf einem Bein stehen. Und irgendwie trifft der Vergleich das Wesen des Manövers – man gerät schnell ins Wackeln und ins Schwitzen… Inzwischen kann Skamander nicht mehr sagen, wie oft sie schon auf einem Bein gestanden haben, mit der Zeit gewöhnt man sich auch daran. Ein leichter Dauerlauf aber ist ihm immer noch angenehmer.
In der Katapultkammer muß Skamander einige Zeit warten, bis der Adapter der Ausstiegsschleuse auf dem Lukenrand aufsetzt. Die in der mehrschichtigen Außenwand des Schleppers gespeicherte Hitze würde ihn augenblicklich verkohlen, wollte er den Wantentrailer über eine gewöhnliche Gangway verlassen. Dann kriecht er durch die enge Röhre auf das Takeldeck. Bruno von der Hohen Aue und Skagit erwarten ihn bereits. Der Dicke hält mit bestürztem Gesichtsausdruck seine Taschenuhr ans Ohr, dann schüttelt er sie unentschlossen und horcht wieder. In der engen dunkelroten Kombination mit den Streifen und Punkten der Rangbezeichnungam Ärmel sieht Bruno aus wie ein kandierter Apfel, der einen Stiel zuviel hat. Seine Beine sind nämlich kaum dicker als die Skagits, der schlaksig und ausgemergelt wirkt, dafür aber einen beachtlichen Schädel sein eigen nennt.
Bruno schüttelt noch einmal, dann hellt sich seine Miene auf, er seufzt erleichtert und läßt das monumentale Erbstück wieder auf seine Brust fallen.
“Ich weiß nicht, was du willst”, sagt Skagit mürrisch, “ich habe das Ticken doch bis hierher gehört, die ganze Zeit.”
“Na ja, schon…” Bruno druckst verlegen herum. “Aber sie hat so komisch getickt, anders als sonst…”
“Ach was, die tickt noch, wenn da”, Skagit tippt Bruno mit dem Zeigefinger auf die Brust, “schon längst nichts mehr bumbum macht, wirst es sehen.” Dann lacht er meckernd über den unfreiwilligen Witz, aber als Bruno zusammenzuckt und zwei, drei Schritte zurückweicht, verstummt er erstaunt.
Bruno ist bleich geworden und schnappt wie ein Fisch nach Luft. “Wie…, wie meinst du das?” stößt er hervor, und seine Augen huschen nervös zwischen Skagit und Skamander, der gar nicht recht begreift, worum es geht, hin und her.
Skagit blickt unsicher zu Skamander. “Weißt du, was unser Mondkalb plötzlich hat?”
Skamander schwankt zwischen Belustigung und erwachender Neugier. Bruno verhält sich höchst merkwürdig, zwar ist er sowieso in allen Dingen ein wenig seltsam, aber weshalb regt er sich plötzlich derart auf? Die Nerven vielleicht, sagt er sich, irgendwie haben wir ja alle einen Knacks weg.“He, Dicker, ich wollte doch nicht… Ja, was wollte ich denn überhaupt?” Skagit greift sich an den kantigen Schädel und macht ein Gesicht, das Skamander nicht gerade ein Sinnbild höchster geistiger Potenz nennen würde.
“Schon gut”, murmelt Bruno da, “ich dachte erst…” Aber was er dachte, behält er wohlweislich für sich, denn seinem Gesicht nach zu urteilen, in dem die wulstige Unterlippe immer noch ganz sachte zittert, war es etwas höchst Aufregendes.
Das Schott zur Galerie, dem Gang, der von Steuerbord nach Backbord das Heck umläuft, schwingt auf, und ein schlanker Blondschopf mit leicht hervorquellenden Froschaugen in einem sonst beinahe mädchenhaft hübschen Gesicht tänzelt herein. Zwischen seinen Beinen hindurch wieselt etwas Undefinierbares, das auf den ersten Blick einem Knäuel aus Putzlappen ähnelt, dessen Flecke aber irgendwie sauber und ordentlich wirken, nicht schmierig und dreckig. Das Ding quakt herzzerreißend, klettert behende an Skagits rechtem Bein empor und windet sich dann
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