Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition)
bereits die Taste betätigt, mit der die Kupplung der Trosse geöffnet wird. Ein leises Summen im Heck seines gepanzerten Schleppers signalisiert ihm, daß die Winde das starke Tau bereits aufspult.
Unter ihm wölbt sich eine schillernde Glocke, die wie eine gigantische Seifenblase zittert und schwingt. Erst allmählich bläht der Sonnenwind die hauchdünne Folie, glättet die Beulen und Falten.
Skamander läßt den Wantentrailer noch etwas steigen. Die ganze Zeit über hat er es fertiggebracht, nicht einen einzigen Blick auf die verhaßte Sonne zu werfen – nun muß er sich ihr zuwenden, denn es fliegt sich bekanntlich besser, wenn man nach vorn schaut, und vorn – das ist jetzt die Sonne.
Das, was ihm da entgegenleuchtet, hat mit der Oberfläche einer Kugel nicht das geringste zu tun. Er befindet sich nur wenige tausend Kilometer über der Chromosphäre, und unter ihm weitet sich eine unendliche Ebene, deren Horizont irgendwo in der Unendlichkeit mit dem Schwarz des Universums zusammenzustoßen scheint, sie kommt aus dem Nichts und endet im Nichts, ein goldglänzender Ozean, eine gewaltige Magmawüste, in ewiger Bewegung, fließend, wirbelnd, strudelnd. Und weit vor dem Bug des Drachenkreuzers stürzt es wie ein donnernder Wasserfall in diesen Ozean. Hoch oben, in über achthunderttausend Kilometer Höhe, ist aus hellen, knotenförmigen Wölkchen eine gewaltige Protuberanz entstanden, deren Plasma entlang der Feldlinien des Magnetfeldes einer Fleckengruppe herabströmt, endlos, wie es scheint, denn über dem Katarakt kondensiert immer neues Wolkenmaterial.
Von der Erde aus sieht man diese Erscheinung nur als einen schmalen Streifen, aber hier bietet sich Skamander ein grandioser, furchteinflößender Anblick. Die Erde ist im Vergleich zu dieser Protuberanz nicht größer als ein Kiesel.
Skamander spürt sein Herz stärker klopfen. Er hat sich an diese Angst gewöhnt und schämt sich ihrer nicht mehr, denn sie nährt auch seinen tiefen Haß auf dieses monströse, selbstherrliche Gebilde aus Elementarteilchen und Plasma, das mit der geringfügigsten Schwankung seiner physikalischen Parameter das Leben in seiner Nachbarschaft unbarmherzig auslöschen kann und den ersten vorsichtigen Versuch dazu vor dreißig Jahren schon unternommen hat. Aber es war wohl nur ein nervöses Zucken seiner Muskeln, der eigentliche tödliche Schlag wird noch folgen, davon ist Skamander überzeugt. Das läßt er sich auch nicht von Goff ausreden, dem einzigen Menschen auf der Erde, dem er vertraut. Warum er sich zu diesem undurchsichtigen Mann hingezogen fühlt, warum er gerade ihm Dinge anvertraut hat, von denen nicht einmal Domina weiß, kann sich Skamander nur ganz vage beantworten. Als sie damals
– bei einem seiner wenigen Besuche auf der Erde – zufällig im selben Amigo durch Amorix fuhren, war es zweifellos die Art und Weise, wie Goff mit dem Fahrzeug redete, als spräche er mit einem intelligenten Wesen, und wie er dem staunenden Skamander vorführte, daß sogar diese biomechanischen Maschinen so etwas wie Persönlichkeit besitzen und ganz konkrete Meinungen und Ansichten haben, was ihre Benutzer betrifft. Dann war es seine kritische, beinahe schon an Aufsässigkeit grenzende Sicht auf Dinge, die Skamander als Selbstverständlichkeit hinnahm, was das Interesse weckte.
Später dominierte wohl die Ahnung, daß auch dieser Goff ein sehr einsamer Mensch ist, daß er sein Äußeres bereitwillig so gestaltet, wie seine Umwelt es verlangt, um wenigstens ganz im Innern seine Ruhe zu haben.
Aber hätte Goff nicht am Hals ein Totenköpfchen getragen, wären sie wohl nie ins Gespräch gekommen. Die seltsame Form dieses Schlundknöchelchens einer Schleierdrachenart, die tatsächlich an einen menschlichen Schädel erinnert, hatte beinahe zur Ausrottung der Tiere geführt – eine Weile galt man nur etwas, wenn man im Besitz solch eines Amuletts war. Inzwischen sind sie eine wahre Kostbarkeit, denn offiziell dürfen Schleierdrachen nicht mehr gejagt werden. Goff vertraute ihm mit verkniffenem Grinsen an, daß es reichlich Ausnahmen von dieser Regelung gäbe, die in verdächtigem Zusammenhang mit der sozialen Position des Antragstellers stünden. Soviel Offenheit beeindruckte Skamander, denn Goffs Totenköpfchen war noch schneeweiß und ohne die feinen Trockenrisse, die nach spätestens einem Vierteljahr auftraten…
Richtiges Vertrauen aber faßte er erst, als Goff ihm auf den Kopf zusagte, was mit ihm los sei, als er Skamanders
Weitere Kostenlose Bücher