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Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition)

Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition)

Titel: Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Szameit
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Schrei des Mungos dringt in ihre Gedanken. “Wohinbringtihrmich? Wasmachtihrmitmir? Laßtmich, ichbinnichtkrank, ichfühlemichwohl, meinlebengefälltmirso, wieesist, ihrhabtkeinrechtdazu…”
    Falsch, Germelin Stotzner, denkt Hendrikje und fühlt plötzlich, wie sie die tiefe Wahrheit begreift: Nur die Gemeinschaft kann diesem armen Menschen helfen, nur sie weiß, was ihm fehlt.
    Da bäumt sich der Mungo ein letztes Mal auf. Seine Bewacher purzeln durcheinander, wohl überrascht von dieser unerwarteten Attacke, und ehe sie sich wieder aufgerappelt haben, springt der Mann mitten hinein in das Gewühl der umherflitzenden Amigos auf der Wondermarck-Magistrale. Ein dumpfer Aufprall, sein Körper wirbelt meterweit durch die Luft, kaum bemerkt Hendrikje, daß ein kleiner glänzender Gegenstand vor ihre Füße kullert und dort liegenbleibt, so lähmt, das Entsetzen ihr Wahrnehmungsvermögen.
    Überall quietschen Reifen, die Schläge aufeinanderprallender Amigos übertönen für Sekunden alle anderen Geräusche. Dann ist es totenstill.
    Der Mops vom Phänotyp griechisch-klassisch eins Alpha beugt sich über den Leichnam und richtet sich mit aschfahlem Gesicht wieder auf. “Wir haben doch alles versucht…, ihm nichts getan…, er hat mich geschlagen…, trotzdem haben wir ihn nur festgehalten…” Sein Stammeln bricht in einem heiseren Kehllaut ab. Er steht da, hilflos und beinahe verängstigt, und wohl um irgend etwas zu tun, beginnt er nervös, das schon trockene Blut aus den Zotten seines Schmeichelmoosüberwurfs zu kratzen.
    Mit schrillem Heulen jagt ein Turbogleiter des MOBS heran. Acht in einfache Kombinationen ohne jedes modische Beiwerk gekleidete Männer hasten auf die Unglücksstelle zu, und nach wenigen Augenblicken zeugt nur noch ein Blutfleck von dem Vorfall.
    Wie eine urtümliche Dampfmaschine erwacht die Wondermarck-Magistrale zum Leben: Zögernd und ruckartig erst, vereinzelt steigen Rufe auf, ertönen die Signale der anfahrenden Amigos – dann aber schwillt das dumpfe Brausen unaufhörlich an, beginnen sich die Räder und Getriebe dieses Gewimmels ächzend zu drehen, finden ihren Takt, und der vertraute Lärm eines lebendigen Urbanidums umtost Hendrikje. Eine kleine Weile kommt sie sich einsam und verloren vor, die Wirkung der Quallen ist verflogen. Dann entdeckt Hendrikje den glänzenden Gegenstand vor ihren Füßen und bückt sich danach. Es ist die rubingefaßte Perle, die Germelin Stotzner im falschen Nasenflügel trug…
    Hendrikje dreht sie unschlüssig zwischen den Fingern, und seltsam melancholische Überlegungen drängen sich ihr auf. Das ist nun alles, was von diesem Stotzner übriggeblieben ist, denkt sie, das und dieser häßliche Fleck dort auf der Fahrbahn. Sollte das wirklich alles sein, oder hat dieser Mensch noch andere Spuren hinterlassen, wird man einst auch nach ihm Straßen und Urbaniden benennen, wie nach den legendären Raumfahrern? Aber was bedeutet es denn jenen, die hier und da, in Stein gemeißelt, voller Gelassenheit die Sorgen und Nöte ihrer Nachfahren an sich vorüberziehen lassen, wie gefroren dastehen zu dürfen, zu wissen, daß ihre Namen täglich von tausend Mündern genannt werden? Denkmäler errichtet man nicht Verblichenen, sondern den Hinterbliebenen. Sie starrt auf das Schmuckstück in ihrer Hand und flüstert: “Eigentlich müßte man jedem Menschen ein Denkmal setzen; wenn jeder seinen Beitrag nach besten Kräften und höchstem Vermögen leisten soll, dann muß er doch auch die Gewißheit haben, nicht vergessen zu werden…” Und plötzlich erinnert sie sich wieder an jene Inschrift, die sie so beunruhigt hatte, und daran, daß es ihr beinahe ein wenig leid tat, als der kleine Trupp von Harmonisatoren der grellgelben Farbe mit allerlei Chemikalien zu Leibe rückte. Seit vorgestern tritt sie nicht mehr so energisch gegen die um sich greifende Unsitte auf, Wände und Panoramafenster mit hausgemachter Lyrik zu zieren. Vielleicht hatte sie eine Qualle zuviel gelutscht, aber vergessen kann sie diesen einfachen Vers nicht, der sie anÄngste erinnerte, die auf der Liste des Büros zur Untersuchung abweichender Verhaltensweisen an erster Stelle stehen. Der dunkle Sinn der Worte beunruhigte sie.
    Morgen / Welche Farbe hat der Tod / ist er grün / ist er rot / ist er wie die Sonne heiß / oder schwarz und hart und kalt / einerlei / ich weiß / es bald.
    Bei der Erinnerung spürt sie ein leises Zittern in der Brust, und daraus wächst eine Frage, schwillt an, droht sie

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