Drachenlied
ihrer Worte, denn sie flog auf den Felsvorsprung und wartete dort mit halb gespreizten Schwingen.
Jetzt, da Menolly beide Hände frei hatte, konnte sie schneller
klettern. Und sie schaffte es, die Eier aus dem Sack bis zum Höhleneingang zu rollen.
»So - jetzt lass dir von deinen Bronzeechsen helfen. Ich brauche Platz für die nächste Ladung.«
Insgesamt erklomm Menolly den Sims dreimal; beim letzten Mal war das Wasser nur noch einen Fuß von der Nestmulde entfernt.
Die kleine Königin hatte ihre Bronzegefährten eingespannt und man hörte sie irgendwo im Innern der Höhle schelten. Es schien sich um eine größere Kaverne zu handeln. Menolly erstaunte das nicht. Die meisten Hügel hier in der Gegend waren von Gängen und Höhlen durchzogen.
Sie warf einen letzten Blick nach unten. Das Wasser stand inzwischen knöcheltief in der ganzen Bucht. Dann musterte sie prüfend den Steilhang. Sie hatte etwa die Hälfte des Weges geschafft, und sie glaubte, genügend Vorsprünge zu erkennen, an denen sie sich hochziehen konnte.
»Lebt wohl!« Statt einer Antwort hörte sie das schrille Keifen der Königin, die ihre Bronzeechsen zur Arbeit antrieb.
Menolly war völlig erschöpft, als sie endlich die Bruchkante des Hügels erreicht hatte. Sie ließ sich ins Gras fallen. Die linke Hand pochte von der ungewohnten Anstrengung. Eine Zeit lang blieb sie einfach liegen. Dann, als ihr Atem leichter ging und die Lungen nicht mehr so stachen, merkte sie, wie hungrig sie war. Der mitgebrachte Proviant hatte sich durch den Sturz und die Kletterpartien in Krümel aufgelöst. Sie verschlang gierig selbst die kleinsten Brösel, die sie fand.
Unvermittelt kam ihr zu Bewusstsein, was für ein Abenteuer sie eben erlebt hatte, und sie war hin und her gerissen zwischen Heiterkeit und Entsetzen. Noch einmal robbte sie vorsichtig an den Rand der Klippe und spähte in die Tiefe. Der Strand stand jetzt völlig unter Wasser. Die Sandkuhle, in
der die Feuerechsen-Eier gelegen hatten, war verschwunden. Sobald das Wasser zurückfloss, erinnerte nichts mehr an das Geschehen. Selbst die zerbrochenen Eierschalen und Kadaver würde die Flut hinwegspülen. Menolly konnte den Sims erkennen, hinter dem sich die Höhle befand, aber von der goldenen Echse sah sie keine Spur mehr.
Sie fuhr sich mit der Hand über die Wange. Da war der blutverkrustete Riss, den ihr die kleine Königin mit ihren scharfen Klauen zugefügt hatte.
»Also ist es doch geschehen!«
Woher aber wusste die Echse, dass ich ihr helfen könnte? Nun, niemand hatte behauptet, dass die Feuerechsen keinen Verstand besaßen. Immerhin war es ihnen seit vielen Planetendrehungen gelungen, den Fallen der Menschen zu entgehen. Ja, sie versteckten sich so gut, dass die meisten Bewohner von Pern ihre Existenz anzweifelten und sie als Produkte kindlicher Fantasien abtaten.
Menolly war sich völlig sicher, dass die goldene Echse sie verstanden hatte. Wie sonst hätte Menolly ihr helfen können? Eine andere Frage schoss ihr durch den Kopf. Weshalb war das kleine Geschöpf mit seinen Eiern nicht einfach ins Dazwischen getaucht? Ach so, in den Balladen hieß es immer, dass im Dazwischen eisige Kälte herrschte. Und Kälte schadete den Eiern - zumindest Dracheneiern. Ob das Gelege in der kühlen Höhle sicher war? Hmmm. Menolly spähte in die Tiefe. Nun, wenn die Königin weiterhin so viel Vernunft bewies wie bisher, dann brachte sie ihr Gefolge dazu, die Eier mit der Körperwärme zu schützen, bis die Zeit zum Ausschlüpfen kam.
Menolly stülpte ihren Ledersack um, in der Hoffnung, noch ein paar Krümel zu finden. Ihr Hunger wollte nicht nachlassen. Sicher, im Marschland gab es genug Frühbeeren und saftige Sprossen, aber sie zögerte, den Hügel zu verlassen.
Obwohl sie eigentlich selbst nicht so recht glaubte, dass die Königin noch einmal auftauchen würde...
Nach langem Warten erhob sich Menolly. Sie war wie zerschlagen von der ungewohnten Anstrengung. Ihre Hand schmerzte dumpf und die lange Narbe wirkte rot und geschwollen. Aber als Menolly die Finger bewegte, hatte sie das Gefühl, dass sie sich besser biegen und strecken ließen als zuvor. Ja - die Hand war längst nicht so stark gekrümmt wie sonst. Sie spürte zwar Schmerzen, aber das kam von der gedehnten Narbe. Die geliebte Gitarre fiel ihr ein und in der Luft griff sie ein paar Akkorde. Wieder der Schmerz, der von der straff gespannten Haut herrührte. Wenn sie vielleicht öfter übte... Bis jetzt hatte sie es ängstlich vermieden,
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