Drachenritter 02 - Der Drachenritter
wahrscheinlicher.
In solchen Fällen, das hatte Jim inzwischen gelernt, kam es darauf an, jeden Anschein zu vermeiden, er sei sich über den Grund von Angies Verstimmung im unklaren. Weiterhin tat er gut daran, sich schnellstmöglich zu vergewissern, gegen wen ihre Wut sich richtete und wodurch sie ausgelöst worden war. Dies ließ sich am besten durch behutsame Fragen bewerkstelligen, doch selbst das ähnelte noch immer der Durchquerung eines Minenfelds. Eine zunächst harmlos erscheinende Frage stellte sich im nachhinein nur allzu häufig als die falsche Frage heraus.
»Warum ist es in diesem Fall nicht dazu gekommen?« fragte Jim.
»Weil sie ihm nichts gesagt hat, was dachtest du denn?« fauchte Angie. Offenbar hatte sie es nicht eilig, ins Bett zu kommen, sondern schien vielmehr der Meinung zu sein, ihr Haar müsse gebürstet werden. Zu den wenigen Luxusgegenständen, die der ehemalige Baron von Malencontri sein eigen genannt hatte, gehörte auch ein Spiegel, der sich jetzt in ihrem Schlafgemach befand. Angie nahm auf dem Stuhl davor Platz und bürstete sich mit knappen, wütenden Bewegungen das Haar.
»Ich meine«, sagte Jim, »warum hat sie es ihm denn nicht gesagt?«
»Das dürfte doch wohl klar sein«, antwortete Angie dem Spiegel.
»Du weißt doch, wie unaufmerksam ich bin«, sagte Jim mit einem leisen Lachen. »Mir ist keine Veränderung bei ihr aufgefallen, und ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, daß sie schwanger sein könnte. Aber dir hat sie es ja anscheinend gesagt.«
»Wem hätte sie es denn sonst sagen sollen?« fragte Angie. »Sie hat keine engen Freundinnen; und ich bin eine alte, weise, verheiratete Frau.«
»Alt?« fragte Jim, aufrichtig überrascht. In seiner Vorstellung war er immer noch ein sehr junger Mann; und Angie war drei Jahre jünger als er. »Du – und alt?«
»In dieser Welt und für jemanden in Danielles Alter – ja, ich bin alt!« sagte Angie. »Eine verheiratete Frau in mittleren Jahren.«
»Ich verstehe«, sagte Jim, obwohl er keineswegs verstand. Somit blieb ihm nichts anderes übrig, als eine direkte Frage zu stellen.
»Und warum«, fragte er, »hat sie ihm nichts gesagt?«
»Weil sie glaubt, er würde sie dann nicht mehr lieben!« fauchte Angie.
»Warum denn das?«
»Weil sie dick und häßlich werden und er sie dann womöglich nicht mehr anziehend finden wird. Einfach so!«
»Dafydd?« Jim war ernstlich verwirrt. »Obwohl ich ihn erst seit kurzer Zeit kenne, scheint mir Dafydd nicht der Typ zu sein, der es sich so schnell anders überlegt. Wie kommt sie eigentlich darauf, er würde sie nicht mehr lieben, wenn sie schwanger ist?«
»Um Himmels willen!« sagte Angie zum Spiegel. »Weil sie glaubt, ihr Aussehen sei der einzige Grund, weshalb er sich in sie verliebt hat. Und daß sie ihn verliert, wenn sie ihre Schönheit verliert.«
»Aber das ist doch lächerlich!« sagte Jim.
»Weshalb?« erwiderte Angie. »Du warst doch selbst dabei, als es passiert ist. Wir traten alle zusammen ins Wirtshaus, und er sah sie kurz an und sagte: ›Ich werde dich heiraten‹.«
»Ganz so schnell ging es nicht«, protestierte Jim.
»Nein«, erwiderte Angie mit einem Anflug von Sarkasmus. »Erst ließ er den Wirt eine Laterne bringen, damit er sie eingehender betrachten konnte.«
»So war es nicht«, sagte Jim. »Wenn ich mich recht erinnere, hat er erst am folgenden Tag erste Anzeichen von Verliebtsein erkennen lassen.«
»Was macht das schon für einen Unterschied?« fragte Angie. »Sie weiß, daß sie gut aussieht. Und sie ist wirklich wunderschön und wirkt anziehend auf Männer, findest du nicht?«
Angie drehte sich auf dem Stuhl herum und sah Jim direkt an.
Eine knifflige Frage.
»Also, ich denke schon«, sagte Jim.
»Siehst du.« Angie wandte sich wieder dem Spiegel zu. »Und da sie nun einmal weiß, daß sie anziehend auf Männer wirkt, und da er sich auf der Stelle in sie verliebt hat, was bleibt ihr dann anderes übrig als zu glauben, ihr Aussehen sei der Grund gewesen, daß er sich in sie verliebt hat?«
»Aber weshalb sollte sie das immer noch glauben?« fragte Jim. »Schließlich sind sie jetzt schon seit fast einem Jahr verheiratet. In diesem Zeitraum müßte sie ihn doch eigentlich besser kennengelernt haben.«
»Das hat sie auch«, sagte Angie, »aber das ändert nichts an ihren Gefühlen, oder?«
Eine weitere heikle Frage. Jim vertrat die Ansicht, daß Menschen ihr seelisches Befinden häufig beeinflussen konnten, wenn sie sich klarmachten,
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