Drachenruf
noch? Außer den Fischern auf die Finger gucken, meine ich.«
»Was immer der Meisterharfner von mir verlangt. In erster Linie gehe ich aufWanderschaft. Ich suche in den Burgen und Gilden nach begabtem Harfnernachwuchs und bringe neue Musik zu den abgelegenen Orten - in jüngster Zeit vor allem deine Balladen...«
»Meine Balladen?«
»Anfangs geschah das in der Absicht, dich aus deinem Versteck zu locken. Und dabei zeigte sich, dass es genau die Lieder waren, die wir brauchten.«
»Das sagte Meister Robinton auch schon.«
»Und warum erstaunt dich das so? Zugegeben, ich finde es
herrlich, wenn ein Lehrling zur Abwechslung auch mal bescheiden ist... he, was hast du denn?«
»Warum nehmt ihr nicht Meister Domicks Musik?«
»Weil sich deine Balladen leicht spielen lassen - und weil sie ins Ohr gehen. Das mögen die Leute. Mit Domicks Musik können die wenigsten etwas anfangen.«
Menolly schluckte.
»Sicher, wir brauchen auch Komponisten wie Meister Domick. Er dringt bis in die Theorie vor und das ist vor allem hier in der Gildehalle wichtig.«
Das Mädchen nickte. Ihr brannte die Frage auf den Lippen, und sie fasste ihren ganzen Mut zusammen, um sie zu stellen. »Sag mal, Sebell, was soll ich wegen der Feuerechsen-Ballade tun? Meister Robinton hat sie umgeschrieben und sie ist jetzt viel, viel besser. Aber er erzählt allen Leuten, dass sie von mir stammt.«
»Na und? Wenn der Harfner das erzählt, dann hat er seine Gründe, Menolly.« Sebell legte ihr sacht eine Hand auf das Knie. »Außerdem hat er kaum etwas geändert - nur hier und da den Text gestrafft. Aber deine Melodie ist geblieben und jeder summt sie inzwischen. Du musst nur noch lernen, die Musik abzurunden, ohne dass sie an Frische verliert. Deshalb ist der Unterricht bei Domick so wichtig. Er besitzt die Disziplin, du die schöpferische Kraft.«
Menolly konnte keine Antwort darauf geben. Sie spürte einen Klumpen im Hals, als sie an die Prügel dachte, die sie bezogen hatte, wenn sie sich daheim mit Musik beschäftigte.
»Was duckst du dich so?«, fragte Sebell mit einer gewissen Schärfe. »Mädchen, was ist los? Du bist ja schneeweiß. Beim Großen Ei!« Der letzte Ausruf klang wie ein Fluch und Menolly schaute den Gesellen überrascht an. »Wenn ich mal ungestört reden möchte...«
Sie folgte seinem Blick und sah den Bronzedrachen, der in weiten Spiralen tiefer glitt und jenseits des Hofes landete.
»Das ist N’ton. Ich muss ihn kurz sprechen, Menolly, wegen unseres Segelausflugs.« Sebell rannte aus dem Zimmer, und sie hörte, wie er die Treppe hinunterpolterte.
Sie warf einen Blick auf die Noten, die sie eben durchgespielt hatten; Sebells Worte kreisten in ihren Gedanken: »Er besitzt die Disziplin, du die schöpferische Kraft. - Jeder summt sie inzwischen.« Die Leute mochten ihre Musik? Das wollte ihr nicht in den Kopf, obwohl Sebell keinen Grund hatte, sie zu belügen. Ebenso wenig wie der Meisterharfner, der ihr versichert hatte, dass er ihre Balladen brauchte. Unglaublich! Sie schlug einen Akkord an, einen triumphierenden, ungläubigen Akkord, und modulierte ihn dann hastig, beschämt über ihre undisziplinierte Reaktion.
Entschlossen wandte sie ihre Gedanken dem Gitarrenduett zu und spielte die schwierigen Passagen langsam durch, bis die Griffe saßen.
Eine der Tonfolgen erinnerte sie an den Aufschrei, den sie in der vergangenen Nacht gehört hatte, und sie stockte.
»Lasst mich nicht allein ... Zögernd griff sie in die Saiten. »Ein Schrei in der Nacht / Herzzerreißende Angst / Ihr Drachen erwacht.« Was hatte Sebell gesagt? Dass Brekke am Leben verzweifeln würde, wenn Canth oder F’nor starben? »Stößt euch etwas zu / Geh ich in den Tod / Lasst mich nicht allein / In Schmerzen und Not.«
Bis Menolly endlich die passende Melodie zu dem kleinen Lied gefunden hatte, summten Prinzessin, Rocky und Taucher begeistert mit.
»Zufrieden?«, fragte sie ihre Schar. »Vielleicht sollte ich das niederschreiben...«
»Schon geschehen«, sagte eine ruhige Stimme hinter ihr, und sie wirbelte herum. Sebell saß am Sandtisch und ritzte eifrig Zeichen in die Fläche. »So, das meiste habe ich.« Er schaute auf und lächelte, als er die Verwirrung in ihren Zügen las. »Mach den Mund zu und komm her!«
»Aber... aber...«
»Habe ich dir nicht vorhin gesagt, dass du dich nicht ständig wegen der falschen Dinge entschuldigen sollst?«
»Ich habe doch nur so vor mich hingespielt...«
»Sicher, die Ballade muss noch zurechtgefeilt
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