Drachenruf
Groghe stand neben ihm und gab ihm gute Ratschläge. Als die beiden Jungtiere prall gespannte Bäuchlein hatten, trug Menolly die Fleischreste weg.
»Sie platzen, wenn ihr sie weiter füttert«, erklärte sie, als sie die vorwurfsvollen Blicke der beiden Harfner sah. »Und jetzt streichelt sie, dann schlafen sie ein. So.« Die beiden kleinen Geschöpfe schlossen müde und zufrieden die Augen, eingerollt in den Armen ihrer neuen Besitzer. Menolly hatte völlig vergessen, wie winzig die Echsen gleich nach dem Ausschlüpfen waren. Ihre Freunde hatten sich inzwischen prächtig entwickelt.
»Es ist unglaublich«, flüsterte der Meisterharfner, und seine Augen leuchteten vor Freude. »Das schönste Ereignis meines Lebens...«
»Verstehe, verstehe«, polterte Baron Groghe, der sich krampfhaft bemühte, seine Rührung zu verbergen. »Hab mich damals ganz ähnlich gefühlt.«
Vorsichtig richtete sich Meister Robinton auf, die Hand schützend um die schlafende Echse gelegt.
»Es erklärt so manches an den Drachenreitern, was ich früher nie begreifen konnte. Ja, es eröffnet in vielen Bereichen ein ganz neues Verständnis.« Er setzte sich auf den Bettrand. »Nun erst kann ich mir vorstellen, was Lytol und Brekke gelitten haben. Und ich weiß, weshalb Jaxom seinen kleinen weißen Drachen behalten muss.« Er lächelte, als Baron Groghe zustimmend nickte. »Was für ein herrliches Geschenk, Menolly! Ich danke dir.«
Prinzessin flog auf die Schulter ihrer Herrin und summte zufrieden, während Merga es sich bei Baron Groghe bequem machte.
»Ich weiß wirklich nicht, wie das geschehen konnte, Meister
Robinton«, sagte Sebell und stand mit übertriebener Vorsicht auf. »Die Gefäße waren wohl vertauscht. Die Königin stand Ihnen zu.«
»Aber Sebell, das spielt doch überhaupt keine Rolle. Das kleine Kerlchen da ist mehr, als ich je erwarten konnte. Außerdem halte ich es fast für günstiger, wenn du die Königin besitzt. Du wanderst von Burg zu Burg, musst die einfachen Leute überzeugen. Ja, ich glaube, der Zufall hat für uns und nicht gegen uns gearbeitet. Und ich bin glücklich mit meiner Bronzeechse. Was für ein hübsches Ding!« Er streckte sich auf dem Bett aus und die winzige Echse schmiegte sich in seine Armbeuge. Der Meisterharfner schloss die Augen.
»Also, das ist ein echtes Wunder«, sagte Silvina leise. »Er ist eingeschlafen - ohne Wein und ohne Fellis-Trank! Los, hinaus mit euch!« Sie verscheuchte die Gaffer von der Tür und winkte Baron Groghe, ihr zu folgen. Der Burgherr verließ auf Zehenspitzen den Raum.
Silvina räumte das Geschirr zusammen und Menolly schickte ihren Schwarm hinaus auf die Dächer.
»Gut erzogen, die Kleinen«, meinte Baron Groghe anerkennend, als Silvina die Tür zu Meister Robintons Räumen geschlossen hatte. »Wir beide müssen uns mal ausführlich unterhalten. Robinton hat angedeutet, dass dein Schwarm Gegenstände von einem Ort zum anderen befördern kann. Glaubst du, dass alle Echsen die gleichen Talente besitzen?«
Verwirrt schaute Menolly zu Silvina hinüber. Die Wirtschafterin nickte ihr ermutigend zu. »Es erscheint logisch, Baron Groghe. Und - es würde die Ereignisse von gestern Nacht erklären. Außer wir beide verstehen die Sprache der Drachen.«
»Außer wir verstehen die Sprache der Drachen?« Baron Groghe lachte dröhnend und legte Menolly den Arm um die Schultern. »Die Sprache der Drachen - hahaha!«
Menolly fand sein Lachen ansteckend, obwohl sie ihre Antwort
durchaus ernst gemeint hatte. Doch Silvina legte den Finger auf die Lippen und deutete auf die Tür des Harfners.
»Entschuldigung, Silvina«, sagte Baron Groghe zerknirscht. »Aber das war schon eine verrückte Sache! Weckt mich das kleine Biest mitten aus dem schönsten Schlaf und jagt mir eine Angst ein, dass ich nicht mehr ein noch aus weiß! Ist mir noch nie im Leben passiert.« Er nickte so heftig, dass Merga zirpte. »War ja nicht deine Schuld, Kleines«, fuhr er fort und streichelte die Echse. »Hast nur das Gleiche getan wie die anderen.« Er wandte sich Menolly zu. »Und du hilfst mir, meine Merga abzurichten, Mädchen, damit sie auch so gehorcht wie deine Schar?«
»Gern, Baron Groghe.«
Der Burgherr drehte sich um und warf der Wirtschafterin einen erstaunten Blick zu. »Ich danke dir, Kind, ich danke dir. Du bist ganz anders, als ich dachte. Man soll nicht auf das Geschwätz der Leute achten. Hab’ich nie getan. Und werd ich nie tun. Ich spreche noch mit Robinton über die Sache.
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