Drachenruf
die Höhle einlaufen, ohne die Masten zu kappen - außer der Wasserstand ist ungewöhnlich hoch. Außerdem gibt es im Innern einen Felsensockel für Reparaturen, eine kleine Schiffswerft und eine trockene Nebenhöhle, in der das Holz für neue Boote aufbewahrt wird.«
»Und der Wohntrakt liegt über dieser Dockhöhle?« Baron Groghe schien das anzuzweifeln.
»O nein, Baron. Die Burg hat ihren Namen nicht umsonst.« Menolly formte Daumen und Zeigefinger zu einem Halbkreis. »Hier, bei meinem Daumen, liegt die Dockhöhle. Und das da...« - sie deutete zur Fingerspitze - »ist die Burg, am längeren Ende des Halbkreises. Dazwischen erstreckt sich Sandstrand. Dort machen sie die Ruderboote fest. Und bei gutem Wetter nehmen sie Fische aus oder flicken und trocknen die Netze und Segel.«
»Sie?« Baron Groghe zog die buschigen Augenbrauen hoch.
»Ja, Baron, sie. Ich gehöre jetzt zu den Harfnern.«
»Ausgezeichnet, Menolly«, entgegnete Baron Groghe und schlug sich mit der flachen Hand auf den Schenkel, dass Merga erschrocken hochflatterte. »Mädchen oder nicht, Robinton, da haben Sie einen echten Gewinn für Ihre Gilde. Das gefällt mir. Das gefällt mir wirklich.«
»Danke, Baron Groghe. Ich war überzeugt davon, dass Sie es so sehen würden«, erwiderte der Meisterharfner mit einem schwachen Lächeln. Dann nickte er Menolly beruhigend zu.
»Dieser Gedanke von Ihnen, Robinton, die Zünfte, Gilden und Burgen näher zusammenzubringen, scheint Früchte zu tragen«, fuhr der Baron nachdenklich fort. »Vielleicht schicke ich den einen oder anderen meiner Söhne in eine Meeres-Burg.«
Der Gedanke, dass Benis unter der Fuchtel ihres Vaters arbeiten müsste, gefiel Menolly, obwohl sie natürlich nicht wusste, ob der Baron gerade ihn meinte.
In diesem Moment kam atemlos der Weinhändlerlehrling zurück. Er schleppte zwei riesige Tabletts an und stellte sie vorsichtig auf den Tisch.
Während die kleinen Echsen gefüttert wurden, sah Menolly, dass immer mehr Leute auf das Karree zwischen den Buden und Zelten drängten. An einem Ende befand sich ein hölzernes Podium, auf dem nun eine Gruppe von Harfnern Platz nahm und die Instrumente stimmte. Sofort bildeten sich Tanzpaare. Ein hochgewachsener Harfnergeselle stellte sich in die Mitte, rief laut die Tanzfiguren aus und schlug auf einem Tamburin den Rhythmus.
Die Zuschauer an den Seitenlinien klatschten im Takt zur Musik und riefen den Tänzern aufmunternde Worte zu. Auch Baron Groghe begann zu klatschen und mit den Füßen zu stampfen.
Menolly sah die Farben aller Zünfte und Gilden; auch die Bauern aus der Nachbarschaft waren herbeigeströmt und standen jetzt herum, Weingläser in den klobigen Händen, die Stiefel für den festlichen Anlass sauber gewichst. Als die Musik eine Pause machte, zogen einige der Pächter ihre Frauen auf den Platz.
Nach und nach ermüdeten die Tänzer und die Musiker auf dem Podium machten Brudegan und einigen seiner älteren Lehrlinge Platz. Auf ein Zeichen von ihm hin sangen sie die Ballade, die Elgion bei seiner Ankunft in der Halbkreis-Bucht vorgetragen
hatte: jenes Lied, das Menolly nie zu Ende gehört hatte. Sie beugte sich vor, eifrig darauf bedacht, jedes Wort und jede Note zu erhaschen. Prinzessin hob den Kopf, zirpte leise und schaute ihre Herrin fragend an.
»Lass sie mitsingen«, sagte Meister Robinton. Er beugte sich vor. »Aber es wäre besser, wenn die anderen auf ihren Dächern blieben.«
Menolly übermittelte ihren Freunden den Befehl, doch im gleichen Moment fiel Merga auf Baron Groghes Schulter in den Gesang ein.
Der Diskant der Echsen erhob sich über die Harfnerstimmen, und Menolly merkte, dass sie wieder einmal im Blickpunkt der Menge stand. Baron Groghe strahlte vor Stolz und trommelte den Rhythmus auf der Tischplatte mit.
Donnernder Beifall brandete auf und Rufe wie: »Die Feuerechsen-Ballade!«, »Das Lied der Königin!« wurden laut.
Brudegan winkte von seinem Podium Menolly gebieterisch zu sich.
»Los, Mädchen! Worauf wartest du noch?« Baron Groghe schnippte mit den Fingern. »Sing das Lied! Schließlich hast du es auch geschrieben. Habe noch nie im Leben einen Harfner gesehen, der sich zierte, wenn es ums Singen ging!«
Menolly warf Meister Robinton einen flehenden Blick zu, aber in den Augen des Harfners funkelte der Schalk, und er lächelte nur.
»Du hast Baron Groghes Worte gehört. Und es wird Zeit, Menolly, dass du dich als Harfnerin einführst.« Er erhob sich und reichte ihr den Arm. Ihr blieb
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