Drachentränen
und übertriebenem Gelächter. Ihre Gesichter waren angespannt und die Muskeln in ihrem Hals traten von der Anstrengung, sich gegen die laut dröhnende Musik zu behaupten, hervor.
Doch die meisten schienen allein zu sein, ohne Bezug zu den Menschen um sie herum. Einige hatten abgeschlaffte Gesichter und starrten leer in die Menge. Andere waren bis zum Zerreißen angespannt und hatten ein irritierend fieberhaftes Starren an sich. Vielleicht lag es an der Halloween-Beleuchtung und den harten Schatten, jedenfalls erinnerten die versteinerten Ravers an den Wänden - ob sie nun hohläugig oder wütend starrten - Harry an Film-Zombies, die mitten in einer mörderischen Aufgabe paralysiert wurden.
»Das ist ein regelrechtes Horrorkabinett«, sagte Connie beklommen, da sie offensichtlich auch etwas Bedrohliches in der Szene wahrnahm, das vielleicht nicht ganz so deutlich erkennbar gewesen wäre, wenn sie vor der PAUSE da hineingeraten wären.
»Willkommen in den Neunzigern.«
Einige Zombies am Rand der Tanzfläche hielten Luftballons in leuchtenden Farben, die allerdings nicht an Schnüren oder Stöcken befestigt waren. Hier stand ein rothaariger, sommersprossiger Junge von siebzehn oder achtzehn, der sich den Hals eines kanariengelben Ballons um den Zeigefinger gewickelt hatte, damit er keine Luft abließ. Und dort war ein junger Mann mit einem Pancho-Villa-Schnurrbart, der ebenso wie ein blondes Mädchen mit leeren blauen Augen den Hals eines grünen Ballons fest zwischen Daumen und Zeigefinger zusammendrückte. Diejenigen, die nicht ihre Finger benutzten, verwendeten offensichtlich eine bestimmte Sorte Clips, die man schachtelweise in Schreibwarengeschäften kaufen konnte. Ein paar Ravers hielten die Hälse ihrer Ballons zwischen den Lippen und nahmen einige Züge Lachgas, das sie bei einem Händler gekauft hatten, der sein Geschäft zweifellos von einem Lieferwagen hinter dem Gebäude aus betrieb. Bei all diesen leeren oder starrenden Blicken und den bunten Luftballons hätte man meinen können, dass eine Horde lebender Toter in eine Kindergeburtstagsparty hineinspaziert wäre.
Obwohl diese Szene durch die PAUSE sehr viel merkwürdiger und faszinierender geworden war, war sie Harry immer noch auf trübsinnige Weise vertraut. Schließlich war er bei der Mordkommission, und bei Rave-Partys kamen schon mal plötzliche Todesfälle vor.
Manchmal wurden sie durch eine Überdosis Drogen verursacht. Kein Zahnarzt würde einem Patienten Stickstoffmonoxyd zur Beruhigung verabreichen, das eine höhere Konzentration als 80 Prozent aufwies, doch das Gas, das bei Raves verkauft wurde, war oft ganz rein, also ohne Sauerstoffzusatz. Wenn man von dem unvermischten Stoff zu viele Züge in zu kurzer Zeit nahm oder zu lange an einem Zug nuckelte, konnte es passieren, dass man nicht bloß zu einem kichernden Etwas wurde, sondern einen Schlaganfall erlitt, der einen töten konnte, oder, was noch viel schlimmer war, einen Schlag bekam, der nicht tödlich war, aber dem Gehirn irreparablen Schaden zufügte und einen zappelnd wie ein Fisch oder in einem katatonischen Zustand am Boden liegend zurückließ.
Harry erspähte eine Empore, die quer über den hinteren Teil des Lagerhauses lief. Sie lag etwa sechs Meter über dem Fußboden und von beiden Seiten führte eine Holztreppe hinauf.
»Da hinauf«, sagte er gestikulierend zu Connie.
Von diesem hohen Balkon aus würden sie das ganze Lagerhaus überblicken können - und Ticktack rasch erspähen, wenn sie ihn kommen hörten, egal welche Tür er benutzte. Die beiden Treppen sicherten ihnen einen Fluchtweg, ganz gleich, aus welcher Richtung er auf sie zukäme.
Während sie tiefer in das Gebäude vordrangen, kamen sie an zwei vollbusigen jungen Frauen in engen T-Shirts vorbei, auf denen »Just say NO« stand, ein Rave-Witz über Nancy Reagans Anti-Drogenkampagne, was bedeutete, dass die beiden zumindest zu Stickstoffmonoxyd, chemisches Zeichen NO, ja sagten, wenn auch zu sonst nichts.
Sie mussten um drei Mädchen herumgehen, die in der Nähe der Wand auf dem Boden lagen, zwei von ihnen hielten halb geleerte Luftballons und waren mit roten Gesichtern in einem Anfall von Kichern in die PAUSE geschickt worden. Das dritte Mädchen war bewusstlos, ihr Mund stand offen und auf ihrer Brust lag ein völlig leerer Ballon.
In der Nähe der Rückseite der Halle hatte jemand ein riesiges weißes X an die Wand gemalt, so groß, dass man es vom ganzen Lagerhaus aus sehen konnte. Zwei Typen in
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