Drachentränen
Arme verschränkt. Er stellte den Kragen hoch und zog die beiden Seiten seiner Sportjacke fest zusammen.
»Wie viel von der Stunde ist schon vergangen?« fragte Connie.
»Keinen blassen Schimmer. Ich hab’ jedes Zeitgefühl verloren.«
»Eine halbe Stunde?«
»Vielleicht.«
»Mehr?«
»Vielleicht.«
»Weniger?«
»Vielleicht.«
»Scheiße.«
»Vielleicht.«
Auf einem ausgedehnten Abstellplatz standen rechts von ihnen hinter einem schweren, von Stacheldraht gekrönten Maschendrahtzaun Wohnmobile, Seite an Seite in der Dunkelheit wie Reihen schlummernder Elefanten.
»Wo kommen all diese Autos her?« fragte Connie.
Sie parkten auf beiden Seiten der Straße, halb auf dem schmalen Seitenstreifen und halb auf dem Asphalt, wodurch sie die dreispurige Straße auf zwei Spuren verengten. Das war merkwürdig, weil mit Sicherheit keiner der Betriebe offen gewesen war, als die PAUSE eintrat. Sie waren alle dunkel und hatten bereits vor sieben oder acht Stunden zugemacht.
Rechts von ihnen in einem Betonblock befand sich eine Firma für Landschaftsgärtnerei, hinter der terrassenförmig die halbe Canonwand hoch eine Baumschule angelegt war. ; Unmittelbar unter einer der Bogenlampen stießen sie auf ein Auto, in dem ein junges Paar herumknutschte. Ihre Bluse war offen und seine Hand darin, eine Handfläche aus Marmor umfasste eine Marmorbrust. Was Harry betraf, so war ihr erstarrter Ausdruck glühender Leidenschaft, natriumgelb getönt und kurz durch die Fenster des Wagens erspäht, in etwa so erotisch wie zwei Leichen, die man zusammen auf ein Bett geworfen hatte.
Sie kamen an zwei Autoreparaturwerkstätten vorbei, die sich auf der dreispurigen Straße gegenüber lagen und jeweils auf unterschiedliche ausländische Marken spezialisiert waren. Die Firmen hatten jeweils ihren eigenen Schrottplatz, der mit ausgeschlachteten Fahrzeugen voll gestopft und mit hohem Maschendraht eingezäunt war.
Die Straße war immer noch von Autos gesäumt, die die Zufahrten zu den Firmen versperrten. Ein etwa achtzehn- oder neunzehnjähriger Junge, ohne Hemd, mit Jeans und Rockports, den die PAUSE genauso voll erwischt hatte wie alle anderen, die sie bisher gesehen hatten, lag hingeflegelt auf der Motorhaube eines 86er Camaros, die Arme nach beiden Seiten ausgestreckt mit nach oben gedrehten Handflächen, und starrte in den regungslosen Himmel, als ob es dort oben etwas zu sehen gäbe, auf seinem Gesicht lag der dümmliche Ausdruck von Glückseligkeit, den jemand hat, der unter Drogen steht.
»Das ist unheimlich«, sagte Connie.
»Unheimlich«, stimmte Harry zu und spannte seine Hände an, damit die Knöchel von der Kälte nicht zu steif wurden.
»Aber weißt du was?«
»Irgendwie vertraut«, sagte er.
»Genau.«
Auf dem letzten Stück der dreispurigen Asphaltstraße standen nur noch Lagerhäuser. Einige waren aus Betonplatten, deren Putz total verstaubt war und die Rostflecke hatten von dem Wasser, das während der unzähligen Regenperioden von den Wellblechdächern herunter lief. Andere bestanden ganz aus Metall, wie Nissenhütten.
Im letzten Block, bevor der Canon sich gabelte und die Straße als Sackgasse endete, waren noch mehr Autos geparkt. An einigen Stellen standen sie in Zweierreihen und verengten die Straße auf eine Spur.
Das letzte Gebäude am Ende der Straße war ein großes Lagerhaus, an dem kein Firmenname stand. Es war eins der verputzten Exemplare mit einem Wellblechdach. Ein riesiges Transparent mit der Aufschrift: ZU VERMIETEN und der Telefonnummer eines Immobilienmaklers war über die Vorderfront gespannt.
Sicherheitslampen beleuchteten die Fassade des Gebäudes und die Rolltore aus Metall, die groß genug waren, dass Sattelschlepper mit Anhänger dort hineinfahren konnten. An der südwestlichen Ecke des Gebäudes war eine mannsgroße Tür, vor der zwei verwegen aussehende Typen Anfang Zwanzig standen, deren Körperbau weit über das hinausging, was man allein mit Gewichtheben und Ernährung schaffen konnte.
»Zwei Rausschmeißer«, sagte Connie, während sie auf die von der PAUSE erstarrten Männer zugingen.
Plötzlich bekam das Ganze für Harry einen Sinn. »Das ist eine Rave-Party.«
»Mitten in der Woche?«
»Muss ein besonderer Anlass sein, vielleicht hat jemand Geburtstag oder so.«
Das Rave-Phänomen war vor ein paar Jahren aus England gekommen und hatte Teenager und Leute Anfang Zwanzig angesprochen, die nonstop bis zum Morgengrauen feiern wollten, ohne von irgendwelchen Gesetzeshütern
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