Rettungskreuzer Ikarus Band 050 - Vince
Sentenza sah nicht nur doppelt.
Er sah tausendfach.
Die Tatsache, dass der tausendfache Anblick aus einer wohlproportionierten, sympathisch wirkenden Frau mit angenehmer, samtener Haut und einem bezaubernden Lächeln bestand, machte die Sache nicht einfacher. Und die Erkenntnis, es hier mit einer Kopie der legendären Gründergestalt des Freien Raumcorps zu tun zu haben, ebenfalls nicht. Sentenza war normalerweise kein Mann, der leicht zu beeindrucken war, aber die Ereignisse der letzten Tage waren dann doch ein wenig viel gewesen. Die oftmals sehr farbenfrohe Kostümierung der Sudekas trug ebenfalls dazu bei, die Sinne etwas zu verwirren. Immerhin machte es die Klonfrauen unterscheidbar. Irgendwie.
Er rückte den schweren Blaster hinter seinem Rücken zurecht. Die doppelläufige Waffe war schwer, vor allem aufgrund der großen Energiekammer, die die hoch verdichteten Plasmapellets enthielt, mit der man Vernichtung über seinen Feind bringen konnte. Es war eine Kallia-Waffe, entnommen aus einem unterirdischen Waffendepot in der Nähe des Zentralkomplexes, in dem sich der Hauptcomputer dieser Welt und damit möglicherweise das Steuerungszentrum der Reste des Kallia-Imperiums befand.
Sentenza wollte die Waffe nicht einsetzen. Der Feind bestand aus einer großen Schar an willenlosen Infizierten, an derzeit von Noël Botero kontrollierten Rekruten, seit Generationen mit dem Wanderlustvirus verseucht. Es waren keine Feinde, die man ohne große moralische Skrupel töten konnte; sie hatten sich nicht freiwillig Boteros Willen unterworfen, um seine Ziele zu befördern. Es waren willenlose Marionetten, der Kern einer viel größeren Armee, die der wahnsinnige Unsterbliche sicher zu nutzen beabsichtigte, um seinen irren Traum von der Herrschaft zu verwirklichen.
Sentenza fragte sich immer, was diese ausgetickten Welteneroberer eigentlich mit der Macht anfangen würden, wenn sie sie erst einmal besaßen. Da hockte man nun und war mächtig. Man hatte alles Geld, alle Soldaten, alle Frauen.
Und dann? Wofür das alles? Was davon würde man mitnehmen, wenn man dereinst starb?
Und welches Ziel gab es dann noch zu erreichen?
Sentenza korrigierte seine Gedanken sofort.
Natürlich galten für Botero diese Fragen nicht. Er war biologisch unsterblich und konnte sich unter anderem zum Ziel setzen, die ganze Galaxis zu erobern. Und danach gleich noch eine. Aber musste das nicht auch irgendwann furchtbar langweilig werden?
Sentenza hatte jedenfalls kein Interesse an der Eroberung der Galaxis. Es war schon schwer genug gewesen, Sonja DiMersi zu erobern – und er war sich nicht sicher, wer hier eigentlich wen beherrschte … Das Kommando über die Ikarus war zudem anstrengend genug. Viel mehr Herrschaft würde er rein nervlich nicht ertragen können, dessen war er sich sicher.
An’ta hantierte an ihrer Waffe und prüfte das Energiemagazin. Die Grey war mit sich im Reinen. Wenn Sentenza ihr befehlen würde, auf die Rekruten zu feuern, würde sie das auch tun, ungeachtet der Tatsache, dass deren anschließende Wiederbelebung weniger mit hoch entwickelter, schwer verständlicher Technologie, sondern mehr mit spirituellen Überzeugungen zu tun hatte.
Sie saßen in diesem Gang, der unterirdisch in Richtung des Zentralgebäudes führte, in dem sie Botero vermuteten. Über sich wussten sie eine kleine Stadt, die um den Komplex herum errichtet worden war, bewohnt von Rekruten, Nachkommen vieler verschleppter Völkerschaften, biologisch oder fabrikmäßig produziert, seit einer Ewigkeit auf Befehle wartend.
Hier unten waren sie nicht alleine: Sowohl vor wie auch hinter ihnen drängten sich Hunderte von Sudekas, die alle einen dermaßen grimmig-entschlossenen Eindruck machten, dass es schon fast absurd komisch wirkte. Vor allem wenn man sich im Kontrast dazu manche der Kostüme ansah.
»Der Weg vor uns ist versperrt«, teilte ihm die Sudeka mit, die sich als eine Art Sprecherin etabliert hatte. »Botero hat die internen Sicherheitsmechanismen aktiviert, soweit er auf diese Zugriff hatte. Wir sind dabei, sie zu umgehen.«
»Wie können wir helfen?«, fragte Sentenza.
Sudeka schaute ihn an.
»Gar nicht.«
Damit wandte sie sich ab.
Der Captain sah ihr nach und seufzte auf. Warten. Auch gut.
Sonja DiMersi gesellte sich an seine Seite, lehnte sich an seine Schulter und drückte ihren Kopf an den seinen. Für einen Moment schlossen beide entspannt die Augen und genossen einen kostbaren Augenblick der Zweisamkeit. Dann setzte
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