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Drachentränen

Drachentränen

Titel: Drachentränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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seiner Leber auch nur ein bisschen geschadet hätte. Normale Weine konnte er auch nicht so gut trinken, aber Port erwies sich als genau das Richtige, süß genug, um seinen empfindlichen Bauch zu beruhigen, aber nicht so süß, dass er Diabetes auslöste.
    Guter Port war das einzige, was er sich gönnte. Nun ja, guter Port und ab und zu ein bisschen Selbstmitleid.
    Während er beobachtete, wie sich die Rosen in der Nacht auf und ab bewegten, konzentrierte er zuweilen seinen Blick auf einen näheren Punkt und starrte sein Spiegelbild in der Scheibe an. Es war ein unvollkommener Spiegel, der ihm eine Physiognomie zeigte, so farblos und durchsichtig wie ein herumspukender Geist. Aber vielleicht stimmte das Spiegelbild letztlich doch, denn er war nur noch ein Geist seines früheren Ichs und in mancher Hinsicht bereits tot.
    Eine Flasche Taylor’s stand auf dem Tisch. Er füllte sein Portweinglas wieder und nahm einen Schluck.
    Manchmal, wie zum Beispiel jetzt, war es schwer zu glauben, dass das Gesicht im Fenster tatsächlich seines war. Bevor er angeschossen wurde, war er ein zufriedener Mann gewesen, der kaum zu Selbstzweifeln neigte und niemals grübelte. Selbst während der Genesung und Rehabilitation hatte er einen Sinn für Humor behalten und mit einem Optimismus in die Zukunft gesehen, den selbst die größten Schmerzen nicht gänzlich erschüttern konnten.
    Sein Gesicht war erst dann das Gesicht in der Fensterscheibe geworden, als Anita ihn verlassen hatte. Nach mehr als zwei Jahren fiel es ihm immer noch schwer zu glauben, dass sie fort war - oder gegen die Einsamkeit anzugehen, die ihn mit noch größerer Sicherheit zerstörte, als Kugeln es vermocht hätten.
    Ricky hob sein Glas und spürte in dem Moment, als er es an den Mund führte, dass etwas nicht stimmte. Vielleicht war ihm unbewusst das fehlende Portwein-Aroma aufgefallen - oder der leicht faulige Geruch, der an seine Stelle getreten war. Als er das Glas gerade mit seinen Lippen berühren wollte, hielt er inne und sah, was darin war: zwei oder drei fette, feuchte, ineinander geschlungene Regenwürmer, die sich träge umeinander schlangen.
    Er schrie erschrocken auf, und das Glas rutschte ihm aus den Fingern. Weil es nur ein paar Zentimeter herunter auf den Tisch fiel, zerbrach es nicht. Doch als es umkippte, glitten die Würmer auf das polierte Kiefernholz.
    Mit wütend zusammengekniffenen Augen schob Ricky seinen Stuhl zurück -
    - und die Würmer waren verschwunden.
    Der verschüttete Wein schimmerte auf dem Tisch.
    Halb schon stehend, halb noch sitzend verharrte er mit den Händen auf den Stuhllehnen und starrte ungläubig auf die rubinrote Portweinpfütze.
    Er war sicher, dass er die Würmer gesehen hatte. Er bildete sich das nicht ein. War nicht betrunken. Zum Teufel, er hatte gerade erst angefangen, den Port zu spüren.
    Er ließ sich langsam wieder auf den Stuhl sinken und schloss die Augen. Wartete eine Sekunde, zwei. Sah hin. Der Wein glitzerte immer noch auf dem Tisch.
    Zögernd tauchte er einen Zeigefinger in die Pfütze. Sie war nass und wirklich. Er rieb Daumen und Zeigefinger aneinander und verteilte den Weintropfen auf seiner Haut.
    Er überprüfte den Taylor’s, ob er nicht doch mehr getrunken hatte, als ihm bewusst war. Die Flasche war dunkel, deshalb musste er sie gegen das Licht halten, um den Flüssigkeitsspiegel zu erkennen. Es war eine neue Literflasche, und der Port reichte bis fast an den Hals. Er hatte sich wirklich nur die beiden Gläser eingeschenkt.
    Gleichermaßen bestürzt über seine Unfähigkeit, eine Erklärung zu finden, wie über das, was passiert war, ging Ricky zum Spülbecken, öffnete das Schränkchen darunter und nahm ein feuchtes Geschirrtuch aus dem Gestell innen an der Tür. Er ging zum Tisch zurück und wischte den verschütteten Wein auf.
    Seine Hände zitterten.
    Er ärgerte sich über sich selbst, weil er Angst hatte, auch wenn die Ursache dieser Angst verständlich war. Er fürchtete, dass er das erlitten hatte, was die Ärzte einen »leichten Gehirnvorfall« nennen, also einen leichten Schlaganfall, der sich einzig in dieser flimmernden Halluzination von Regenwürmern bemerkbar gemacht hatte. Während seines langen Krankenhausaufenthalts hatte er nichts so sehr gefürchtet wie einen Schlaganfall.
    Die Entwicklung von Blutgerinnseln in den Beinen und an den Nähten in den geflickten Venen und Arterien war eine besonders gefährliche mögliche Nebenwirkung von Unterleibsoperationen der Größenordnung,

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