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Drachentränen

Drachentränen

Titel: Drachentränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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wie er sie durchgemacht hatte, und der ausgedehnten Bettruhe, die sich daran anschloss. Wenn sich eines losmachte und ins Herz wanderte, konnte das zum sofortigen Tod führen. Wenn es statt dessen ins Gehirn wanderte und den Blutkreislauf behinderte, konnte die Folge völlige oder teilweise Lähmung sein, Blindheit, Sprachverlust und - was am entsetzlichsten war - die Zerstörung der geistigen Fähigkeiten. Seine Ärzte hatten ihm Medikamente gegeben, um die Bildung von Gerinnseln zu verhindern, und die Krankenschwestern hatten mit ihm ein passives Bewegungsprogramm durchgezogen, selbst als er ganz flach auf dem Rücken liegen musste. Doch während seiner langen Genesungszeit hatte es nicht einen Tag gegeben, an dem er sich keine Sorgen darüber gemacht hätte, plötzlich festzustellen, dass er sich nicht mehr bewegen oder nicht mehr sprechen konnte, nicht mehr genau wusste, wo er war, seine Frau nicht mehr erkannte oder seinen eigenen Namen nicht mehr wusste.
    Zumindest hatte er damals den Trost gehabt zu wissen, dass - egal was passierte - Anita sich immer um ihn kümmern würde. Jetzt hatte er niemanden mehr. Von nun an würde er sich allen Widrigkeiten allein stellen müssen. Wenn er aufgrund eines Schlaganfalls zum Schweigen gebracht und stark behindert sein würde, wäre er auf Gedeih und Verderb Fremden ausgeliefert.
    Obwohl seine Angst verständlich war, war ihm auch klar, dass sie teilweise irrational war. Er war geheilt. Gewiss, er hatte seine Narben. Und sein Martyrium hatte seine Kräfte ganz schön reduziert. Doch er war nicht kränker als der durchschnittliche Mann auf der Straße und wahrscheinlich gesünder als viele von ihnen. Seit seiner letzten Operation waren mehr als zwei Jahre vergangen. Seine Chancen, einen Gehirnschlag zu erleiden, waren jetzt nicht größer als für jeden Mann seines Alters. Sechsunddreißig. Und Männer in diesem Alter erlitten selten einen Schlaganfall. Statistisch gesehen war es wahrscheinlicher, dass er bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam, an einem Herzinfarkt starb, Opfer eines brutalen Verbrechens oder sogar vom Blitz erschlagen wurde.
    Was er fürchtete, waren jedoch nicht so sehr Lähmung, Verlust des Sprechvermögens, Blindheit oder irgendein anderes körperliches Gebrechen. Was ihm wirklich angst machte, war die Vorstellung, allein zu sein, und das unheimliche Erlebnis mit den Regenwürmern hatte ihm deutlich vor Augen geführt, wie allein er sein würde, wenn irgendein Unglück passierte.
    Entschlossen, sich nicht von der Angst beherrschen zu lassen, legte Ricky das Geschirrtuch mit den Portweinflecken beiseite und stellte das umgefallene Glas wieder auf. Er würde sich mit einem weiteren Drink hinsetzen und alles durchdenken. Die Antwort würde sich finden, wenn er darüber nachdachte. Es gab bestimmt eine Erklärung für die Würmer, vielleicht eine optische Täuschung, die man wieder herbeiführen konnte, indem man das Glas einfach noch einmal ganz genauso hielt und drehte.
    Er nahm die Flasche Taylor’s und kippte sie zum Einschenken. Obwohl er die Flasche erst vor ein paar Minuten gegen das Licht gehalten hatte, um zu prüfen, wie viel Wein darin war, erwartete er einen Augenblick lang, dass sie schleimige Knoten sich windender Regenwürmer ausspeien würde. Doch es kam nur Port heraus.
    Er stellte die Flasche hin und hob das Glas. Als er es an die Lippen führte, zögerte er, weil ihn der Gedanke abstieß, aus einem Glas zu trinken, in dem Regenwürmer gelegen hatten, die glitschig von dem kalten Schleim waren, den sie absonderten.
    Seine Hand zitterte erneut, seine Stirn war plötzlich feucht von Schweiß, und er war wütend über sich selbst, weil er sich so dämlich anstellte. Der Wein schwappte gegen die Seiten des Glases und schimmerte wie ein flüssiger Edelstein.
    Er führte es an die Lippen und nahm einen kleinen Schluck. Er schmeckte süß und rein. Er nahm einen weiteren Schluck. Köstlich.
    Ein leises, zittriges Lachen entfuhr ihm. »Arschloch«, sagte er und fühlte sich besser, weil er sich über sich lustig machte.
    Er beschloss, dass ein paar Nüsse oder Cracker gut zum Port schmecken würden, stellte sein Glas hin und ging zum Küchenschrank, wo er Dosen mit gerösteten Mandeln, gemischten Nüssen und Päckchen mit Che-Cri-Käseknabbergebäck stehen hatte. Als er die Tür aufmachte, wimmelte es in dem Schrank von Taranteln.
    Schneller und beweglicher, als er seit Jahren gewesen war, wich er von dem offenen Schrank zurück und stieß sich

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