Drachentränen
die drei Pathologen, die an Laura Kincade arbeiteten, auf unheimliche Weise Ärzten, die sich um eine Patientin bemühten, deren Leben sie zu retten versuchten. Die Bewegungen waren dieselben, nur das Tempo war anders. Doch das einzige, was diese Männer retten konnten, war eine Aufzeichnung, auf ganz genau welche Weise eine Kugel einen zerbrechlichen menschlichen Körper tödlich verletzt hatte, das Wie von Lauras Tod. Sie konnten auch nicht annähernd die viel wichtigere Frage beantworten: Warum? Selbst James Ordegard und seine verdrehten Motive konnten das Warum nicht erklären; er war nur ein weiterer Teil des Wie. Zu erklären warum war eine Aufgabe für Priester und Philosophen, die sich Tag für Tag hilflos nach dem Sinn abstrampeln.
»Sie haben eine Schädelöffnung durchgeführt«, sagte Harry auf dem quietschenden Stuhl des Gerichtsmediziners.
»Und?«
»Keine erkennbaren Blutgerinnsel. Keine ungewöhnliche Menge Rückenmarksflüssigkeit, keine Anzeichen von Überdruck.«
»Haben sie das Gehirn aufgeschnitten?« fragte sie.
»Bestimmt.« Er blätterte raschelnd in dem Protokoll herum. »Yeah, hier.«
»Gehirntumor? Abszess? Krankhafte Gewebe Veränderungen?«
Er überflog einen Augenblick schweigend den Bericht. Dann: »Nein, nichts in der Art.«
»Blutungen?«
»Keine festgestellt.«
»Embolie?«
»Keine gefunden.«
»Epiphyse?«
Es konnte passieren, dass die Epiphyse sich verschob und unter den Druck umliegenden Gehirngewebes geriet, was zu extrem lebhaften Halluzinationen führte, manchmal zu Paranoia und brutalem Verhalten. Doch auch das war bei Ordegard nicht der Fall.
Während sie die Autopsie aus einer gewissen Entfernung beobachtete, dachte Connie an ihre Schwester Colleen, die seit fünf Jahren tot war, bei der Geburt eines Kindes gestorben. Es kam ihr so vor, als ob Colleens Tod genauso wenig Sinn ergab wie der Tod der armen Laura Kincade, die den Fehler gemacht hatte, im falschen Restaurant zu Mittag zu essen.
Andererseits ergab kein Tod einen Sinn. Alles wurde nur geboren, um zu sterben. Wo lagen darin Logik und Vernunft?
»Nichts«, sagte Harry und legte den Bericht wieder auf den Schreibtisch. Die Federn des Sessels ächzten und quietschten, als er aufstand. »Keine unerklärlichen Male auf dem Körper, keine seltsamen physiologischen Gegebenheiten. Falls Ordegard von Ticktack beherrscht wurde, gibt es an der Leiche keine Hinweise darauf.«
Connie wandte sich von der Glaswand ab. »Was nun?«
Teel Bonner zog die Schublade im Leichenschauhaus auf.
Der nackte Körper von James Ordegard lag darin. Seine weiße Haut hatte an einigen Stellen einen bläulichen Schimmer. Mit schwarzen Garnstichen hatte man die umfangreichen Einschnitte von der Autopsie geschlossen.
Das Mondgesicht. Die Totenstarre hatte seine Lippen zu einem schiefen Lächeln verzogen. Doch zumindest waren seine Augen geschlossen.
»Was wollten Sie sehen?« fragte Bonner.
»Ob er noch da war«, sagte Harry.
Der Pathologe warf Connie einen Blick zu. »Wo sollte er sonst sein?«
Kapitel 4
Der Boden des Schlafzimmers war mit schwarzen Keramikfliesen ausgelegt. Wie sich kräuselndes Wasser glitzerte er an einigen Stellen von dem schwachen Widerschein des Lichts aus der Nacht jenseits der Fenster. Er war kühl unter Bryans Füßen.
Als er zu der gläsernen Wand schlenderte, die aufs Meer hinausging, reflektierten die riesigen Spiegel Schwarz auf Schwarz, und seine nackte Gestalt glitt wie ein Geist aus Rauch durch die Schattenschichten.
Er stand am Fenster und starrte auf das schwarze Meer und den teerfarbenen Himmel. Die gleichmäßig ebenholzschwarze Aussicht wurde nur durch die Kronen der Brecher und die wie Zuckerguss aussehenden Flecken an der Unterseite der Wolken aufgelockert. Der Zuckerguss war eine Spiegelung der Lichter von Laguna Beach hinter ihm; sein Haus stand an einem der westlichsten Punkte der Stadt.
Die Aussicht war perfekt und ausgewogen, weil ihr das menschliche Element fehlte. Kein Mann, keine Frau, kein Kind, kein Gebäude, keine Maschine, überhaupt nichts von Menschenhand Geschaffenes drängte sich da hinein. So ruhig und dunkel. So sauber.
Er konnte es kaum erwarten, die Menschheit und all ihre Werke von weiten Teilen der Erde auszurotten und die Menschen auf ausgewählte Reservate zu beschränken. Aber er war noch nicht im Vollbesitz seiner Macht, er war noch im Werden.
Er senkte seinen Blick von Himmel und Meer zum fahlen Strand am Fuße des Kliffs.
Während er seine Stirn
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