Drachenwege
Außerdem brannte sie darauf, mit diesem wertvollen Geschenk, das die Anerkennung eines gesamten Weyrs ausdrückte, vor ihrem Vater zu prahlen. Vor der Mutter natürlich auch.
Nuella lag viel daran, ihrer Mutter von ihren Erfolgen zu berichten. Ihre Mutter hatte immer an ihre besonderen Fähigkeiten geglaubt, hatte sich bemüht, sie nicht auszugrenzen und ihr immer wieder vorgehalten, dass sie sich nicht wegen ihrer Blindheit grämen sollte.
Sie schärfte ihr ein, diesen Zustand nicht als ein Handikap aufzufassen, sondern ihn zu ihrem Vorteil zu nutzen. Beim Gedanken an ihre Eltern fiel Nuella die kleine Larissa ein. Vielleicht - Nuella zog die Nase kraus - konnte sie sich ein paar Tage davor drücken, dem Baby die Windeln zu wechseln.
Dann spürte sie, wie Lolanth sanft auf der Wiese vor dem Eingang zur Mine aufsetzte. Sie hatte J'lantir gebeten, dort zu landen, damit ihre Ankunft möglichst un-spektakulär vonstatten ging. Sie hoffte, ihr Vater würde ihre Rücksichtnahme zu würdigen wissen.
J'Lantir sprang auf den Boden. »Absitzen, meine Lady«, rief er Nuella zu.
»Zum Glück ist es bereits Nacht, und an dieser Stelle wird nicht gearbeitet. Sonst hätten wir auf dem Ausguck landen müssen, um nicht womöglich noch mit einem Kohlenkarren zusammenzustoßen.«
Nuella schwang ihr Bein über Lolanths Hals und glitt nach unten, wo J'lantir sie mit ausgebreiteten Armen in Empfang nahm. Mittlerweile genoss sie das Gefühl, sich einfach fallen zu lassen, mit der Gewissheit, jemand würde sie auffangen. J'lantir wirbelte sie einmal herum, dann stellte er sie behutsam auf die Füße.
»Jetzt bist du wieder daheim - gesund und munter«, verkündete er vergnügt. In fragendem Ton fügte er hinzu: »Allerdings vermisse ich das Empfangskomitee.«
Nuella hob die Nase in die Wind und schnupperte, weil sie hoffte, irgendwelche Ankömmlinge zu wittern, ehe J'lantir sie sah. Sie spitzte die Ohren, sog die nächtlichen Geräusche in sich auf und durchforschte sie nach sich nähernden Schritten. Ein triumphierendes Lächeln breitete sich auf ihren Zügen aus, als sie die erhofften Laute vernahm - zwei Personen kamen auf sie zu.
Wenig später traten sie in JTantirs Gesichtskreis, denn er rief: »Na endlich, da kommt jemand, um dich zu begrüßen, Nuella. Ich hatte zwar mit mehr Leuten gerechnet, aber immerhin ist es ziemlich spät.«
»Das ist nicht der Grund«, widersprach Nuella, der ein kalter Schauer über den Rücken lief. »Irgendetwas stimmt hier nicht.«
»Nuella?«, rief Zenor in die Nacht hinein.
Nuella fiel ein Stein vom Herzen, und sie atmete tief durch. »Zenor, was ist los? Wo bleiben Kindan und Kisk?« In Gedanken versuchte sie, mit ihrem liebsten Wachwher Verbindung aufzunehmen, doch sie spürte nichts als eine schwarze Traurigkeit und Leere. »Was ist passiert?«
»Es hat ein Unglück gegeben«, erklärte Renna, die das letzte Stück des Weges rannte, um zu ihrem Bruder zu gelangen.
»Und alles war nur meine Schuld!«, jammerte Zenor mit tränenerstickter Stimme.
»Ein Stollen ist eingestürzt!«, klärte Renna sie auf.
»Kindan? Und Kisk? Sind sie betroffen?«, fragte Nuella angstvoll.
»Die beiden befinden sich in Kisks Stall«, beruhigte sie Renna. »Kindan wollte zu Hilfe eilen, aber Tarik hat es ihm verboten. Als Kindan sich widersetzte und trotzdem versuchte, in die Grube zu gelange, schlug Tarik ihn nieder.«
»Tarik hat ihm nicht erlaubt, den eingeschlossenen Kumpeln zu helfen?«, hauchte Nuella fassungslos.
»Tarik ist kein richtiger Bergmann«, schimpfte Zenor. »Ich sah mit eigenen Augen, wie nachlässig er einen Stollen abstützen ließ und meldete Natalon die Schlamperei. Dein Vater fuhr selbst ein, um sich ein Bild aus erster Hand zu verschaffen. Er war außer sich vor Wut, als er sah, was Tarik auf der zweiten Sohle an-gerichtet hat. Danach tauschte er mit Tarik die Schicht.«
Er holte tief Luft und dann sprudelte die Hiobsbotschaft aus ihm heraus. »Ich glaube, die Kumpel waren dabei, die Ausbauten zu verstärken, als der Stollen einbrach.«
»Mein Vater wurde verschüttet?«, schrie Nuella.
»Ja. Dalor auch - die gesamte Mannschaft«, heulte Renna unter Tränen los.
»Tarik behauptet«, sagte Zenor, »der Einbruch sei zu gewaltig, um die eingeschlossenen Männer Ausgraben zu können.«
»Toldur versuchte es dennoch«, fügte Renna hinzu.
»Aber sie kamen nur ein paar Meter weit. Toldur meint, dass die Firste auf mindestens zehn Metern eingestürzt ist. Es würde Wochen
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