Drachenwege
wobei er selbst gegen ein Schwindel-gefühl ankämpfen musste.
In der Diele traf er zwei Männer. Einer griff sich Dalor und hievte ihn sich über die Schulter. Der andere tat dasselbe mit Kindan, ohne Rücksicht auf dessen Proteste.
Auf einmal war Kindan draußen; er lag rücklings im Schnee und bemühte sich, langsam und tief einzuatmen.
Sein Kopf schmerzte.
*
Irgendetwas stimmte nicht. Jemand rief ihren Namen, doch der Rufer schien sich in weiter Ferne zu befinden.
»Nuella! Nuella!« Sie erkannte Zenors Stimme. Ein
Lächeln zupfte an ihren Mundwinkeln. Zenor. Sie
mochte ihn sehr gern. Er war ihr Freund. Das erste Kind im Camp, an das sie sich angeschlossen hatte. Ihr
einziger Freund. Sie wollte sich bewegen, doch ihre Arme und Beine fühlten sich schwer an, als bestünden sie aus Stein.
»Nuella!« Zenors Stimme klang näher. Wie durch
einen dichten Nebel bekam Nuealla mit, dass eine Tür geöffnet wurde, dann spürte sie, wie jemand nach ihr griff und sie schüttelte. Irgendwer holte sie aus dem Bett und zog sie aus dem Zimmer.
»Im Haus ist Stickluft, Nuella - ich muss dich nach draußen bringen«, erklärte Zenor hastig.
Stickluft?, hallte es in Nuellas Kopf nach. Nach drau-
ßen bringen? Sie fühlte sich vage beunruhigt, doch sie wollte jetzt nicht nachdenken, dazu war sie viel zu träge und zu schläfrig. Aber sie durfte nicht nach draußen.
»Lass mich hier«, murmelte sie. Doch Zenor, der sie keuchend die Treppe hinunter schleppte, hörte gar nicht, was sie sagte.
*
»Geht es dir gut Junge?«, erkundigte sich Meister
Zist, der neben Kindan auf dem Boden kniete. Kindan nickte und bereute sogleich, dass er den Kopf überhaupt bewegt hatte. Er wedelte schwach mit der Hand. »Die anderen sind gerettet, Kindan«, erzählte der Harfner, der sich denken konnte, welche Frage dem Jungen auf der Seele brannte. »Dass sie noch leben, haben sie nur dir zu verdanken.«
Eine weitere Person ließ sich neben ihm auf die Knie nieder. Es war Natalon. »Danke, Junge. Wenn du nicht so umsichtig gehandelt hättest, wären wir alle im Schlaf gestorben.«
Kindan versuchte sich hinzusetzen, brachte ein dünnes Lächeln zuwege und sah sich um, wobei er den
Kopf nur sehr vorsichtig drehte. Jenella wurde gerade in eine Decke gehüllt, und über ihre Wangen strömten
Tränen; Swanee war bei ihr und hustete unaufhörlich.
Kindan kniff leicht die Augen zusammen, als er Zenor sah, der einem jungen Mädchen half, wieder zu Atem zu kommen. Dann schaute er Meister Zist an und hob
fragend die Augenbrauen. Der Harfner erwiderte seinen Blick und deutete ein Kopfschütteln an.
Kindan rappelte sich hoch, ohne auf die stechenden Schmerzen hinter seinen Augen zu achten, und suchte Dalor auf. Er zupfte an seinem Hemdärmel, und als sein Freund aufmerksam wurde, setzte er eine komplizenhafte Miene auf. Mit dem Kinn deutete er auf das Mädchen, und Dalors Augen weiteten sich vor Schreck.
Kindan vermochte seine Neugier nicht mehr zu bezähmen. Dalor mit sich ziehend, schlenderte er zu Zenor und dem Mädchen hin.
Zenor hatte dem Mädchen eine Decke umgelegt und
einen Zipfel über ihren Kopf gezogen. Er hob den Blick, als sich die beiden Buben näherten. Kindan legte einen Finger an seine Lippen und stellte sich so hin, dass er den anderen Leuten den Blick auf das Mädchen ver-sperrte.
»Komm mit, Dalor, in der Hütte von Meister Zist
kannst du dich am Feuer aufwärmen«, verkündete
Kindan mit lauter Stimme und bedeutete Zenor und dem Mädchen, aufzustehen.
Geschickt arrangierten sie es, dass Dalor und das
Mädchen in dieselbe Decke eingehüllt waren, und zu viert marschierten sie zum Cottage des Harfners.
Kindan hoffte, in dem allgemeinen Chaos möge niemandem aufgefallen sein, dass man zwei Kinder aus
Natalons Haus gerettet hatte, und nicht nur eines, Dalor, den jeder im Camp kannte.
Nicht lange, und die vier saßen in der Küche von
Meister Zists Quartier und wärmten sich am munter
prasselnden Feuer. Dalor und das Mädchen trugen nur ihre Nachtgewänder und waren bis auf die Knochen
durchgefroren.
»Wie kam es, dass du uns gerettet hast?«, fragte
Dalor, dessen Lippen immer noch bläulich angelaufen waren.
»Als du nicht auftauchtest, um deine Wache anzu—
treten, wollte ich dich holen. Und dabei bemerkte ich, dass sich in eurem Haus giftige Gase gestaut hatten.«
»Danke, dass du das getan hast. Ohne dich wären wir jetzt tot«, erwiderte Dalor.
Das Mädchen hob zögernd die Hand und strich Kindan
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