Drachenwege
werden?«, versuchte Kindan das Thema zu wechseln.
»Ein Meisterharfner ist dazu berechtigt, Lehrlinge an jedem beliebigen Ort auszubilden«, erwiderte Zist.
»Wenn es an der Zeit ist, Prüfungen abzulegen, schickt er sie zur Harfnerhalle.« Mahnend hielt er Kindan seinen Zeigefinger unter die Nase. »Du bist noch nicht fertig.«
»Hmm, na ja ... rechnen kann er nicht ... und im
Schreiben ist er auch eine Niete ...«
»Das sind Fehler, und keine Tugenden«, korrigierte Zist den Jungen und stieß einen Seufzer aus.
»Ich weiß«, wehrte sich Kindan. »Ich denke nur laut nach ...«
»Ich sehe schon, so kommen wir nicht weiter«,
meinte der Harfner. »Es dauert mir zu lange, und wir beide haben heute noch viel zu tun. Um deiner
Phantasie auf die Sprünge zu helfen, habe ich mir
Folgendes ausgedacht: Ab jetzt gehst du jeden Abend, nachdem du deine üblichen Pflichten erledigt hast, zu Tarik nach Hause und wäscht dort die schmutzige
Kleidung. Das wirst du so lange tun, bist du mir drei gute Eigenschaften von Cristov aufzählen kannst.
Außerdem musst du dich bei ihm entschuldigen, weil du ihm ein Bein gestellt hast.«
»Aber ... aber ...«, stotterte Kindan. »Ich glaube nicht, dass Cristovs Mutter es mir erlaubt, deren Wäsche zu waschen.«
»Sorge dafür, dass sie es dir gestattet«, entgegnete der Harfner mitleidlos. »Wie du es anfängst, ist deine Sache. Aber ich bestehe darauf!«
Kindan verdrehte die Augen.
Meister Zist drohte ihm mit dem erhobenen Zeigefinger. »Wenn du mit diesem Gesicht vor Dara trittst, wird sie dich gleich hinauswerfen. Lass dir also etwas einfallen.« Dann erhob er sich von seinem Stuhl. »Und jetzt lauf los und besorg dir etwas zu essen! Wenn du dich beeilst, ist vielleicht noch etwas übrig.«
»Und was ist mit dir, Meister? Bist du denn gar nicht hungrig?«
Meister Zist drückte die Schultern durch und nahm
eine vornehme Pose an. »Ich habe eine Verabredung mit einer jungen Dame, da denkt man nicht ans Essen.« Als er Kindans verdutzte Miene sah, scheuchte er ihn mit raschen Handbewegungen aus dem Zimmer. »Nun mach schon, Junge. Ab mit dir!«
*
Zwei Abende lang schuftete Kindan in Tariks Haus,
ehe er herausfand, welche drei Tugenden Cristov besaß.
Es waren Ehrlichkeit, Loyalität und Integrität. Kindan mogelte sich in Daras Waschküche, indem er ihr
vorflunkerte, er hätte dort früher immer die schmutzige Wäsche gewaschen und verbände damit schöne
Erinnerungen. Ob sie wohl so freundlich wäre, ihn ein paar Mal ihre Wasche waschen zu lassen, damit er die guten alten Zeiten wieder aufleben lassen könnte? Als Kindan scheinheilig Dara seinen Wunsch vortrug, hatte sich Cristov vor Lachen gebogen, und Tarik schaute noch grimmiger drein als sonst, doch Dara stimmte zu, nachdem sie Kindan lange mit einem forschenden Blick gemustert hatte.
Erleichtert trug Kindan Meister Zist seine Erkenntnisse vor und war glücklich, als der Harfner ihn von seinen zusätzlichen Pflichten entband.
»Beschreibe mir das Haus«, verlangte Meister Zist
danach von ihm.
Kindan begann, die Örtlichkeiten so zu schildern, wie er sie in Erinnerung hatte, doch der Harfner hob die Hand und gebot ihm Einhalt.
»Nein, ich will nicht wissen, wie es ausgesehen hat, als du selbst dort wohntest; ich möchte erfahren, welche Veränderungen sich seit Tariks Einzug ergeben haben.«
Kindan rang nach Worten, musste jedoch passen und
schüttelte den Kopf.
»Ein Harfner muss lernen, ein guter Beobachter zu
sein«, erklärte der Meister. »Gleichgültig, wohin du gehst, du musst die Augen weit aufsperren und dir alles genau merken.« Auf Meister Zists Fragen hin entsann sich Kindan allmählich an einzelne Dinge, die sich im Haus geändert hatten. Er war überrascht, wie viel er wusste, obwohl er das meiste gar nicht bewusst wahrgenommen hatte.
»Gut gemacht«, sagte Meister Zist schließlich. »Es ist spät geworden. Du solltest zu Bett gehen.«
Kindan setzte eine rebellische Miene auf, doch der Meister erstickte jeden Protest im Keim.
»Morgen Abend versammeln wir uns alle in der Festung«, erklärte er. »Wir feiern das Ende des Winters, und da ich dich als Trommler einsetzen möchte, musst du ausgeschlafen sein.«
Kindan war überrascht. Gleich nachdem er in Meister Zists Cottage gezogen war, hatte der Harfner ihm
Unterricht im Trommeln erteilt; aber da sein Lehrer mit Lob geizte, wäre er nie auf den Gedanken gekommen, er würde ihn öffentlich auftreten lassen.
»Guck nicht so erstaunt«,
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