Drachenwege
Hochtechnologie musste über kurz oder lang versagen, und ohne angemessene Schutzmaßnah-men vor den Fäden konnten die Siedler keine Äcker und Felder bestellen, auf deren Ernteerträge sie angewiesen waren. Sie benötigten eine dauerhafte, speziell auf Pern zugeschnittene Lösung für ihr Problem; es galt, eine Methode zu finden, um die vom Himmel fallenden Fäden zu vernichten.
Die Biologen unter den Kolonisten, angeführt von der auf Eridani ausgebildeten Kitti Ping, wandten ihr Augenmerk den einheimischen Feuerechsen zu, kleine, flugfähige Eidechsen, die Miniaturdrachen glichen. Mithilfe raffinierter gentechnischer Manipulationen züch-teten die Perneser aus diesen Feuerechsen große »Drachen«. Wenn diese Tiere ein phosphinhaltiges Gestein kauten, vermochten sie Flammengarben aus dem Maul zu speien und die Fäden noch in der Luft zu verbrennen, ehe sie auf den Erdboden fielen.
Die Drachen waren telepathisch mit ihren menschlichen Reitern verbunden und dienten fortan als wich-tigste Waffe der Kolonisten, um die Fäden zu bekämpfen.
Kitti Pings Tochter, Windblüte, setzte die Experimente mit den Feuerechsen fort, und aus einem Versuch, den man damals für misslungen hielt, gingen kleinere, muskulöse, hässliche Kreaturen mit übergroßen, lichtempfindlichen Augen hervor. Man bezeichnete sie als Wachwhere. Für den Einsatz gegen die Fäden kamen sie bei Tageslicht nicht in Frage. Doch die einfalls-reichen Perneser entdeckten, dass die Wachwhere sich ideal dazu eigneten, dunkle Orte auszuforschen, zum Beispiel die Höhlensysteme, in denen die Kolonisten Zuflucht suchten. Auch in den Bergwerken kamen die Wachwhere zum Einsatz.
Das Fort, wie die Kolonisten ihre erste Ansiedlung in der von Tunneln und Kavernen durchzogenen Steilklippe nannten, wurde schon bald zu klein für die sich rasch vermehrende Bevölkerung. Als Erste suchten sich die Drachenreiter eine neue Heimstatt, indem sie den Kraterkessel eines erloschenen Vulkans bezogen.
Diesen in luftigen Höhen gelegenen Wohnsitz bezeichneten sie als Fort Weyr.
Später verteilten sich die Kolonisten über den gesamten Nördlichen Kontinent. Die Drachenreiter grün-deten weitere Weyr auf den höchsten Gipfeln der Berge.
Derweil ließen sich die Farmer und Viehzüchter in festungsartigen Bauten in den Tiefebenen nieder.
Unter der Leitung der Burgherren und der Weyrführer entwickelte sich eine Gesellschaft, in der handwerkliches Geschick und besondere Fertigkeiten gefragt waren. Bestimmte Berufe, zu deren Ausübung mitunter eine jahrelange Schulung vonnöten war, schlossen sich zu Gilden oder Zünften zusammen. Es gab Innungen der Schmiede, der Bergarbeiter, der Farmer, der Fischer, der Heiler und der Harfner. Um den jeweiligen Ausbildungsstand zu kennzeichnen, übernahm man die alten Begriffe, die früher auf der Erde üblich waren: Lehrling, Geselle und Meister. Jedem Verband stand ein von seinen Mitgliedern gewählter Zunftmeister vor, der die internen Angelegenheiten regelte. Man kannte einen Meisterschmied, einen Bergwerksmeister, einen Fischereimeister, einen Saatmeister, einen Meisterheiler und einen Meisterharfner.
Den Gesetzen der Himmelsmechanik folgend, entfernte sich der Rote Stern nach fünfzig Planetenumdrehungen wieder soweit von Pern, dass die Wolken aus Fäden, die er gleichsam wie eine Schleppe hinter sich her zog, Pern nicht mehr erreichten, und die Gefahr war gebannt. Doch nur vorübergehend, denn nach zweihundert Planetenumläufen näherte sich der Rote Stern von neuem, und der nächste Vorbeizug begann.
Nun jedoch stiegen die Drachen mit ihren Reitern in den Himmel hinauf, um Feuersalven zu speien und die Fäden zu verbrennen, so dass sie als unschädliche Ascheflocken abregneten. Wenn dann nach fünfzig Planetenumdrehungen der tödliche Spuk vorbei war, brachen für die Siedler wieder ruhigere Zeiten an und sie schwärmten aus, um die natürlichen Reichtümer von Pern zu erkunden.
Nach einem »Intervall« aus zweihundert friedvollen Planetenumläufen kehrte der Rote Stern jedoch zurück, und der Kampf gegen die Fäden begann aufs Neue.
Gegen Ende des Zweiten Intervalls, nur sechzehn Planetenumläufe vor dem Dritten Vorbeizug des Roten Sterns, standen die Bergleute vor einem Problem. Die Perneser waren auf Kohle als Brennstoff und Energie-spender angewiesen. Ohne Kohle, vor allem der hoch-
wertigen Anthrazitkohle, die große Hitze erzeugte, konnte der Meisterschmied keinen Stahl herstellen. Aus Stahl wiederum formte man
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