Drachenwege
mich anziehe wie jemand, der zur Karawane gehört, wird keinem etwas auffallen.«
»Die Händler werden sofort wissen, dass du nicht zu ihnen gehörst«, gab Zenor zu bedenken.
»Na und? Sie werden glauben, ich sei eine Bewoh-nerin des Camps und würde zu Ehren unserer Gäste diese Kleidung tragen.«
»Und was ist mit deinen Eltern - oder Dalor?«
Nuella hob die Schultern. »Du musst dafür sorgen, dass ich ihnen nicht versehentlich über den Weg laufe.
So schwer dürfte das nicht sein. Schließlich rechnen sie nicht damit, mir hier zu begegnen.«
»Aber ...«
Nuella streckte den Arm nach ihm aus, drehte ihn herum und schob ihn zur Tür. »Lauf jetzt lieber los, sonst fragt dich noch jemand, warum du gebummelt hast.«
* * *
Als Kindans Ablösung ein paar Stunden später eintraf, hatte er Zenor bereits vergessen. Sein Magen knurrte und ihm lief das Wasser im Munde zusammen, als von den großen Kochfeuern, die man draußen entzündet hatte, der Duft von gewürztem und geröstetem Wherry den Hang hinauf wehte.
Normalerweise nahmen die Familien im Camp Natalon die Mahlzeiten in ihren eigenen Quartieren ein. An diesem Abend jedoch brannten in den Gruben im Zentrum des Platzes gewaltige Feuer, und ringsum standen lange hölzerne Tische mit Bänken für die Campbewohner und die Mitglieder der Handelskarawane.
Harfner Jofri und ein paar andere Musikanten spielten lebhafte Weisen, während die Leute mit herzhaftem Appetit die Speisen verputzten.
Kindan nahm sich einen Teller und suchte sich ein ruhiges Plätzchen abseits vom allgemeinen Rummel, damit man ihn nicht mit weiteren Aufgaben plagte.
Derweil er sich an dem pikant gewürzten Wherry-fleisch gütlich tat - das Rezept stammte von seiner Schwester und mundete ihm persönlich am besten -und dazu frisch gepressten Beerensaft trank, hielt er Augen und Ohren offen. Seine Blicke huschten mal hierhin, mal dorthin, und er bemühte sich, jeden Gesprächsfetzen aufzuschnappen, teils, um unliebsamen Störungen zu entgehen - falls jemand ihm eine Arbeit auftragen wollte -, teils, um interessante Klatschge-schichten nicht zu verpassen.
An der Haupttafel, um die herum sich die anderen Tische gruppierten, entdeckte Kindan den Führer der Karawane und seine Gemahlin, doch immer wieder musste er seine Schwester und ihren Verlobten, Terregar, anschauen. Der Schmied war mittelgroß, aber mit kräftigen Muskeln bepackt. Er trug einen gepflegten, kurzgetrimmten Bart, durch den sich häufig ein Lächeln stahl, begleitet von einem fröhlichen Aufblitzen der strahlend blauen Augen. Kindan hatte Terregar gleich bei ihrer allerersten Begegnung gemocht.
Terregar und Silstra - die Namen hatten einen guten Klang. Aber für ihn und alle anderen Bewohner des Camps würde seine Schwester stets nur »Sis« bleiben.
Kindan fragte sich, ob es in der Halle der Schmiede-zunft in Telgar bereits eine »Sis« gäbe. Aber vielleicht heiratete diese Dame ja einen Mann, der kein Schmied war, und man brauchte einen Ersatz. In Camp Natalon würde man seine »Sis« schmerzlich vermissen, soviel stand für ihn jetzt schon fest. Denn niemand konnte seine große Schwester ersetzen.
Kindan merkte, dass seine Augen tränten, und er re-dete sich ein, der Wind müsse die Richtung gewechselt und ihm ein wenig Asche von den Feuern ins Gesicht geblasen haben. Dass sein Herz plötzlich schwer wie ein Stein wurde, ignorierte er. Er wusste, wie glücklich Sis sein würde; immer und immer wieder hatte sie dies gesagt. Und er konnte nicht abstreiten, dass Terregar ein wirklich netter Mann war. Trotzdem ... ohne seine Schwester würde er sich sehr einsam fühlen, denn sie hatte sich seit dem Tod ihrer Mutter um die gesamte Familie gekümmert.
Nun blies der Wind tatsächlich aus einer anderen Richtung, und die auffrischende Brise trug einen neuen Duft heran - es roch intensiv nach süßen Pasteten.
Kindan leckte seine Lippen, derweil er versuchte, den Ursprung des Aromas auszumachen. Doch als er aufstehen wollte, drückte eine Hand ihn wieder nach unten.
»Denk nicht mal daran«, knurrte jemand in sein Ohr.
Es war sein älterer Bruder, Kaylek. »Dad hat mich geschickt, um nach dir zu suchen. Du sollst Dask baden.«
»Jetzt gleich?«
»Natürlich, was denn sonst!«
»Aber wenn ich zurückkomme, sind alle Pasteten aufgegessen!«, protestierte Kindan.
Kaylek ließ sich nicht erweichen. »Morgen bei der Hochzeitsfeier gibt es auch noch welche«, sagte er achselzuckend. »Und Dask muss ganz sauber sein, sonst
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