Drachenzauber
Ungeschickt zog ich den Kopf ein, um ihm besser in die Augen sehen zu können, und flüsterte: »Wir haben einen Fluch.«
Aber was für ein jämmerlicher Fluch das war! Es gab keine Gedichte und keine geheimnisvollen Hinweise, nur etwas, das aussah, als hätten ein paar He-ranwachsende es in eine Steinwand gekratzt. Wenn es nicht die Wand der großen Halle gewesen wäre, hätte es wahrscheinlich niemanden mehr gekümmert.
Der einzige Grund, wieso Besucher nicht lachten, wenn sie es sahen, bestand darin, dass es in altmodi-schen Runen geschrieben war, die nur wenige lesen konnten.
»Weißt du, worum es dabei geht?«
Ich blinzelte meinen Onkel einen Augenblick an, bevor ich zu dem Schluss kam, dass selbst ein Idiot es wissen könnte. »Das Haus Hurog wird das Opfer einer Bestie aus den Tiefen der Hölle werden.«
»Opfer einer Bestie, Ward. Dieser Hengst ist die Bestie, von der im Fluch die Rede ist. Fen hielt es für einen guten Namen für ein Schlachtross. Und tatsächlich hatte er einen treffenderen Namen gewählt, als er ahnte. Dieser Hengst ist eine Höllenbestie«, sagte er eindringlich. »Er hätte schon vor langer Zeit getötet werden sollen. Siehst du das denn nicht?«
Ich wusste, dass man Bestie nach dem Ungeheuer aus der Unterwelt benannt hatte, das die Seelen der Toten fraß, die im Leben nicht gut genug gewesen waren, um nach ihrem Tod in den Häusern der Götter zu weilen. Aber wer hätte gedacht, dass Onkel Duraugh es so ernst nehmen würde? Ich war der Ansicht, dass der Fluch bereits eingetreten war. Weil die Knochen des Wesens, das wir schützen sollten, in Ketten in einer verborgenen Höhle unter der Festung lagen, war Hurogs Wohlstand verschwunden, und es gab keine Drachen mehr auf der Welt.
Hurog brauchte keine Bestie aus der Unterwelt, um sich noch weiter zu zerstören. Mein Vater war verrückt gewesen. Meine Mutter aß Traumwurzel und bemerkte nicht, was rings um sie herum vorging.
Meine Schwester war stumm, obwohl kein Heiler und kein Magier einen Grund dafür finden konnte.
Mein Bruder hatte versucht, sich umzubringen.
»Siehst du das nicht?«, fragte Duraugh, der in seiner Leidenschaft offenbar vergaß, dass er mit dem Familienidioten sprach.
»Ich kann gut sehen«, erwiderte ich, um ihn daran zu erinnern. »Aber was hat das alles mit dem Pferd zu tun?«
Mein Onkel war ein gut aussehender Mann; er sah besser aus als mein Vater, wenn auch nicht so gut wie seine eigenen Söhne. Aber der Zorn ließ ihn hässlicher wirken; vielleicht gefiel mir seine Reaktion deshalb so gut. Ciarra vergrub das Gesicht an meinem Rücken, als er sich mühsam wieder zusam-mennahm.
»Bestie war der Untergang deines Vaters. Wenn du das nicht erkennst, wird er auch der deine sein.«
»Er ist ein Pferd«, sagte ich störrisch. »Und ich habe seinen Namen geändert. Bestie macht den Leuten nur Angst. Blümchen. Er heißt jetzt Blümchen.«
Der Name gefiel mir besser, je öfter ich ihn aussprach.
Oreg, der Junge aus der Drachenknochenhöhle, kam zu mir, als ich an diesem Abend ins Bett gehen wollte. Ich sah nicht, wie er hereinkam, aber als ich nach dem Waschen mein Gesicht abtrocknete, saß er auf meiner Bettkante. Ich nickte ihm zu, setzte mich auf einen Hocker neben dem Bett und schnitt mir mit dem Messer über dem leeren Nachttopf die Fußnä-gel.
Er beobachtete mich eine Weile. Aber es ist ziemlich langweilig zuzusehen, wie sich jemand die Ze-hennägel schneidet; also fing er schließlich an zu reden.
»Weißt du, wofür der Ring gedacht ist?«
Ich schüttelte den Kopf. Es folgte ein langes Schweigen, währenddessen ich mich den Fingernä-geln widmete.
»Weißt du, wer ich bin?«
Diesmal nickte ich. Er stand auf und begann, leise vor sich hin murmelnd, auf und ab zu gehen.
Schließlich blieb er vor mir stehen und legte die Hand auf mein Messer, damit ich aufhörte. Seine Hand war warm und fest. In den Bänkelsängerge-schichten fühlten sich Gespenster immer kalt und flüchtig an.
»Also, wer bin ich?«, meinte er frustriert und ver-
ärgert. Ich fragte mich, ob er mich beobachtet hatte, wenn ich mich nicht dumm stellte. Hatte er mich durchschaut?
»Weißt du denn nicht, wer du bist?«, erwiderte ich und starrte ihn aus großen Augen an.
Er ließ sich gereizt auf den Boden sinken und schlug die Hände vors Gesicht. Sein Nacken sah irgendwie verwundbar aus. Er erinnerte mich an meinen Bruder Tosten.
Ich starrte ihn lange an. Mein Geheimnis vertraute ich niemandem so leicht an. Nicht einmal
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