Dracula, my love
mir stellen möchtest?“
„Allerdings.“
„Dann frag nur. Ich sage dir alles, was du wissen willst.“
Ich wusste kaum, wo ich anfangen sollte. Ich nippte an meinem Wein. Nach einigem Zögern hob ich an: „Du drängst mich, dass ich mich nicht vor dir fürchten soll. Aber ich weiß jetzt, wer und was du bist. Ich sehe, wie schwer es dir fällt, deinen Appetit, wie du es nennst, zu zügeln. Du hast zugegeben, dass du Lucys Blut getrunken hast, und doch behauptest du, du hättest sie nicht umgebracht. Wie kann ich dir das glauben?“
„Ich habe es dir letzte Nacht erklärt. Lucys Tod war eine Tragödie, aber nicht meine Schuld.“
„Doch! Ich habe dich in jener ersten Nacht mit ihr gesehen, oben auf der Klippe in Whitby. Du hast sie überfallen, ein unschuldiges, wehrloses Mädchen, das schlafwandelte!“
„Hat sie dir das so erzählt? Das sollte mich eigentlich nicht überraschen. Leider, meine liebe Mina, ist es nicht ganz so gewesen.“
„Was ist denn dann geschehen?“
„Ich spazierte gerade über den Friedhof von Whitby, einen Ort, der mir lieb und teuer geworden war, weil ich dich dort zum ersten Mal getroffen hatte. Lucy war eine sehr empfindsame Seele. Ich glaube, es lag daran oder an der Tatsache, dass ihr so nah beieinander geschlafen habt, dass sie meine Gedanken spürte, die eigentlich für dich bestimmt waren.“
„Gedanken, die für mich bestimmt waren?“
„Ich dachte - in recht lebhaften Einzelheiten, wie ich mich erinnere - an jenen zukünftigen Tag, an dem du die Meine werden würdest.“
Plötzlich erinnerte ich mich an den Traum, den ich in jener Nacht geträumt hatte - von der hochgewachsenen, dunklen Gestalt mit den roten Augen, die gerufen hatte: „ Schon bald bist du die Meine! “ Außerdem fiel mir der frühere Traum aus der Sturmnacht wieder ein, in dem ich dem gleichen gesichtslosen Wesen in einem gespenstischen Korridor begegnet war.
„Schon nach kurzer Zeit tauchte eine junge Frau auf dem Friedhof auf, barfuß und nur mit einem weißen Nachthemd bekleidet. Ich erkannte sie, denn ich hatte Lucy zuvor schon mit dir gesehen. Da ich sie nicht erschrecken wollte, verbarg ich mich unweit der Bank, auf die ihr euch so oft setztet. Sie erblickte mich, kam zu mir herüber, starrte mich mit ihren wunderschönen blauen Augen an. Sie sagte: ›Sir, wollen Sie mit mir tanzen?‹“
„Sie hat dich zum Tanz aufgefordert?“, fragte ich ungläubig staunend.
„Ich habe rasch begriffen, dass sie schlafwandelte. Ich erkundigte mich, ob sie wirklich jetzt und hier auf dem Friedhof zu tanzen wünschte, noch dazu ohne Musik. Mit einem trägen Lächeln kam sie näher zu mir und erwiderte: ›Sir, seit ich hier in Whitby angekommen bin, sehne ich mich danach, im Pavillon zu tanzen. Ich heirate bald. Ich werde nie wieder mit einem Fremden tanzen. Bitte tanzen Sie mit mir! Ich werde mich zu der Musik in meinem Kopf im Walzertakt wiegen.‹ Ich konnte an dieser rührenden Bitte nichts Schlimmes finden. Also schloss ich deine Freundin in die Arme.“
„Oh!“, sagte ich leise. Ich kannte Lucy nur zu gut und war mit ihrer Neigung zum Schlafwandeln und ihrer Vorliebe für das Tanzen und Flirten zu vertraut, um diese Geschichte anzuzweifeln.
„Sie begann die ›Schöne blaue Donau‹ zu summen“, fuhr er fort, „und so tanzten wir ein, zwei Minuten lang da oben auf der Klippe Walzer. Sie tanzte recht gut, sogar im Schlaf, wenn auch keineswegs so wunderbar wie du. Als ich sie umfangen hielt, konnte ich mich eines wachsenden Hungergefühls nicht erwehren, denn sie war wirklich sehr schön. Aber ich beherrschte mich, weil ich wusste, dass sie deine Freundin war.
Schon bald schloss Lucy die Augen, und ich spürte, wie sie schlaff in meinen Armen lag. Ich brachte sie zu der Bank zurück und legte sie hin. Ich hätte sie dort liegen lassen, hätte sie nicht plötzlich die Augen wieder aufgeschlagen. Sie erwachte vollends. Dann blickte sie sich einen Augenblick lang verwirrt um und errötete. Sie packte mich, zog mein Gesicht zu dem ihren herunter und küsste mich. Es war ein wunderbarer Kuss, und da verlor ich die Beherrschung. Sie war jung, sie war schön, und ich konnte ihrer Verlockung nicht widerstehen. Ich trank ihr Blut. Ich hörte noch, wie die Kirchturmuhr eins schlug. Schon bald darauf vernahm ich eine leise Stimme: ›Lucy! Lucy!‹ Ich blickte auf und sah jemanden weit weg auf der gegenüberliegenden Klippe stehen. Erst später begriff ich, dass du es warst. Ich wandte mich ab
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