Dracula, my love
die sich an zwei Wänden vom Boden bis zur Decke erstreckten und zur Hälfte mit Büchern aller Art und aller Größen gefüllt waren. Im ganzen Zimmer ver- teilt standen noch sehr viele offene Kisten mit weiteren Büchern, als würden sie gerade noch ausgepackt. Die Zahl der Bände schien in die Zehntausende zu gehen.
„Es ist wohl eher eine Bibliothek als ein Salon“, sagte ich, wie vom Donner gerührt, während ich die Titel einiger Bücher auf den Regalen betrachtete. Viele schienen sehr alt zu sein. Sie behandelten eine große Vielzahl von Themen, darunter Geschichte, Philosophie, Biographien, Naturwissenschaft, Medizin. Außerdem waren da Lyrikbände und Romane, von den Klassikern der Antike bis zur Moderne, sowohl weithin beliebte wie auch nahezu unbekannte Werke. Wie ich bemerkte, umfasste die Sammlung zudem Bände über Hexenkünste, Alchemie und Aberglauben. Viele Titel hatte ich noch nie zuvor gehört, und mich verlangte, die Werke in die Hand zu nehmen und darin zu lesen.
„Woher hast du all diese Bücher?“, fragte ich.
„Sie stammen aus meiner Burg in Transsilvanien. Es ist nur ein kleiner Teil meiner dortigen Bibliothek. Hast du wirklich geglaubt, dass all die Kisten, die ich mitgebracht habe, nur Erde enthielten?“
Ich nickte sprachlos und fragte mich gleichzeitig, warum ich so überrascht gewesen war. Schließlich hatten Herr Wagner und ich uns oft und sehr ausführlich über Literatur unterhalten. Nun fügten sich für mich allmählich die beiden Hälften des Mannes, den ich kennengelernt hatte, zu einem faszinierenden Ganzen zusammen. Doch es harrten meiner noch weitere Überraschungen. Auf einem Tisch in der Nähe erblickte ich eine Schreibmaschine und Greggs Werk über die Stenographie sowie einen Stapel Papier, der davon zeugte, dass hier jemand beides geübt hatte.
Ich lächelte verwirrt und schaute meinen Gastgeber an. Der zuckte nur die Achseln und meinte: „Ich dachte, ich könnte mir diese Künste beibringen, die dich so sehr interessieren.“
Sein Gesichtsausdruck trieb mir die Hitze in die Wangen, eine Hitze, die mir plötzlich mehr als deutlich klarmachte, dass ich nicht mehr fröstelte. Während ich mein Schultertuch ablegte, fiel mein Blick auf das Feuer, dass hell lodernd im Kamin brannte und eine angenehme Wärme ausstrahlte. „Oh!“, rief ich besorgt. „Fürchtest du nicht, dass man den Rauch aufsteigen sieht?“
„Es ist ein rauchloses Feuer.“
Tatsächlich erkannte ich bei näherer Betrachtung, dass die Flammen eher rot als gelb loderten und dass von diesem Feuer, obwohl es echte Holzscheite zu verzehren schien, kein einziges Wölkchen Rauch aufstieg. „Wieder nur ein ganz einfaches physikalisches Phänomen, nehme ich an?“
„So etwas Ähnliches.“
Ich schüttelte verwundert den Kopf. War all dies nur wieder einer meiner seltsamen Träume?, überlegte ich. Aber nein, tief in mir spürte ich, dass ich bei vollem Bewusstsein war. Als ich den Raum betreten hatte, war mir ein starker Geruch aufgefallen, der mir merkwürdig vertraut erschien. Nun sah ich, von welcher Quelle er ausging. In einer Ecke des Raumes war eine Staffelei aufgestellt, und darauf stand mit der Rückwand zu mir eine Leinwand. Daneben erblickte ich auf einem Tisch Töpfe mit Ölfarben, Stifte, Pinsel, Terpentinersatz, Skizzenbücher und eine Palette mit vielen verschiedenen Farbklecksen. Diese Entdeckung kam so unerwartet, dass ich mit der ziemlich überflüssigen Bemerkung herausplatzte: „Du malst?“
„Eher schlecht als recht.“
Wie magnetisch angezogen, ging ich um die Staffelei herum, um mir die Leinwand von vorn anschauen zu können. Das Bild war ein Porträt, und die Farbe war noch frisch. Es war so vollkommen und wunderbar ausgeführt, dass es eine Arbeit von Rembrandt oder da Vinci hätte sein können. Wie benommen starrte ich auf das Bild.
Es war mein Porträt.
Auf dem Gemälde trug ich ein bezauberndes smaragdgrünes Abendkleid, dessen tief ausgeschnittenes Mieder mit kunstvollem Perlenbesatz verziert war. Mein dunkles Haar war hoch auf meinem Kopf aufgetürmt, sodass mein blasser Hals zum Vorschein kam. Ich lächelte den Betrachter zurückhaltend an, als hütete ich ein schönes Geheimnis. An der Zuneigung des Künstlers zu seinem Gegenstand blieb nicht der geringste Zweifel, denn obwohl ich mich eindeutig wiedererkannte, hatte er mich doch weit liebreizender wiedergegeben, als ich selbst zu sein glaubte. Erst jetzt bemerkte ich auf dem Tisch neben der Staffelei die
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