Dracula, my love
und wollte schon gehen, doch Lucy packte mich erneut und zog mich zu sich herunter, drückte meinen Mund mit Gewalt an ihren Hals zurück. Ich trank weiter. Als ich sie verließ, war sie wieder eingeschlafen. Ich beobachtete, wie du sie aufwecktest, und folgte euch dann nach Hause, um sicher zu sein, dass ihr gut dort anlangtet.“
Ich hörte mir diese Geschichte in erstauntem Schweigen an. Sie war so ganz anders als das, was ich mir vorgestellt hatte, so anders als das Bild von dem Scheusal, das meiner ahnungslosen, unschuldigen Freundin aufgelauert hatte. Ich erinnerte mich auch an gewisse seltsame Verhaltensweisen, die Lucy an den Tag legte und die darauf schließen ließen, dass sie sich sehr wohl genau daran erinnerte, was in jener Nacht und in weiteren Nächten geschehen war. Ich hatte damals das Gefühl gehabt, als wollte sie etwas vor mir verbergen.
„Ich habe sie dir am nächsten Tag im Pavillon vorgestellt“, sagte ich langsam, während ich mein Weinglas absetzte. „Warum hat sie dich nicht wiedererkannt?“
„Ich denke, sie hat mich erkannt, irgendwo in einem Winkel ihrer Erinnerung. Aber ich habe mich ihr auf der Klippe nicht in der Gestalt gezeigt, in der du mich kennengelernt hast.“
Ich schaute ihn an und fragte mich, ob er in jener Nacht auch nur annähernd wie der ältere Herr ausgesehen hatte, der Jonathan und mir in Piccadilly begegnet war. Ich sagte: „Ich habe Lucy in unserem Zimmer eingeschlossen, um sie zu schützen, und doch bist du als Fledermaus zu ihr zurückgekehrt.“
„Sie hat mich darum gebeten.“
„Dich darum gebeten? Wie?“
„Ich sagte bereits, dass Lucy einen starken Willen und eine empfindsame Seele hatte. Gewöhnlich kann ich die Gedanken anderer Menschen nicht hören, ihre dagegen hörte ich sehr wohl. Ich vermute, dass sie sich deswegen trotz meiner Versuche, die Begebenheit aus ihrem Gedächtnis zu löschen, durchaus an die Augenblicke erinnerte, in denen ich von ihrem Blut getrunken habe. Sie hat wohl den ersten Blutaustausch genossen und sich nach mehr gesehnt. Und ich brauchte Blut. Warum sollte ich nicht nehmen, was mir so großzügig angeboten wurde? Du kannst mir glauben, dass die Blutmenge, die ich in Gestalt einer Fledermaus von Lucy getrunken habe, nicht einmal einem Säugling abträglich gewesen wäre, viel weniger einer jungen Frau ihres Alters und ihrer Größe. Es ist mir rätselhaft, warum Lucy in Whitby immer kränklicher wurde. Vielleicht war ihre Gesundheit anderweitig angegriffen, oder sie hatte wie ihre Mutter ein Herzleiden. Warum sie in London krank wurde, habe ich dir ja bereits erklärt. Dort habe ich sie nur besucht, weil ich sie nach mir rufen hörte, und ich dachte, auf diese Weise könnte ich vielleicht etwas über dich erfahren.“
„Über mich?“
„Ich habe mich gequält. Ich wollte unbedingt herausfinden, ob du in Budapest angekommen und in Sicherheit warst, ob du geheiratet hattest oder nicht ... Lucy hat sich in Hillingham mit mir im Garten getroffen. Zu meiner Enttäuschung hatte sie auch noch nichts von dir gehört. Sie hatte mir keinerlei Neuigkeiten mitzuteilen. Ich ging wieder fort, aber sie war keineswegs schüchtern, deine Lucy. Ich glaube, sie bildete sich ein, ein bisschen in mich verliebt zu sein. Sie rannte hinter mir her und zog mich in die Arme, bestand darauf, dass ich sie erneut biss, gleich auf der Stelle. Sie hätte sich danach gesehnt, meinte sie. Und in der Verfassung, in der ich war, nun, ich will es so sagen: Ich war nicht in der Laune, ihr das abzuschlagen. Die nächsten zehn Tage hatte ich hier und anderenorts zu tun und war mir nicht bewusst, dass dein Dr. van Helsing sie mit seinen unseriösen medizinischen Experimenten umbrachte.“
Wieder hatte es mir die Sprache verschlagen. Alles, was Dracula über Lucys Wesen gesagt hatte, klang völlig plausibel. Und wer konnte ihre Sehnsüchte besser verstehen als ich, obwohl ich doch seinen Vampirbiss erst einmal erlebt hatte! Mir schossen Tränen in die Augen. Wütend und traurig dachte ich: O Lucy, Lucy! Wir haben uns beide in denselben Mann verliebt. Und du musstest deswegen dein Leben lassen!
„Es tut mir leid“, sagte er leise. „Ich habe dich traurig gemacht. Ich weiß, wie sehr du deine Freundin geliebt hast. Du musst sie sehr vermissen.“
„Ich bin traurig, aber auch wütend! Selbst wenn sich alles genau so abgespielt hat, wie du es schilderst, bleibt doch die Tatsache, dass Lucy niemals so bleich ausgesehen hätte, dass sie eine
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