Dracula, my love
nervös gewesen, um viel herunterzubringen. Ich setzte mich auf den Stuhl, den er mir angeboren hatte. „Danke.“
„Möchtest du ein Glas Wein?“
„Das wäre wunderbar.“ Während ich ihm zuschaute, wie er den Korken aus einer Flasche Burgunder zog (Rotwein, wie überaus passend, überlegte ich), wollte die Verwirrung nicht von mir weichen. Der elegante Gentleman vor mir war ein so interessanter, leidenschaftlicher, gelehrter, vollendeter Herr. Wie konnte er gleichzeitig das Unwesen sein, das wir alle jagten? Ein Scheusal, das nicht von dieser Welt war und dem der Sinn nach meinem Blut stand?
„Was denkst du gerade?“, fragte er, als er den tiefroten Wein in ein zartes Kristallglas schenkte.
„Ich habe mir überlegt, wie seltsam es für mich ist, hier als dein Ehrengast zu sitzen“, log ich, „und dass ... ich nicht weiß, wie ich dich jetzt nennen soll. Für mich bist du immer noch Herr Wagner. Wie bist du überhaupt auf diesen Name gekommen?“
Er zuckte die Achseln. „Ich bewundere seine Musik.“
„Irgendwie erscheint mir ›Graf Dracula‹ viel zu förmlich ...“
„Nenn mich Nicolae.“
„Nicolae.“ Ich erinnerte mich, diesen Namen auf der Besitzurkunde für sein Anwesen gelesen zu haben. Unwillkürlich zitterte meine Hand ein klein wenig, als ich das Glas annahm, das er mir reichte. Diese Reaktion entging ihm nicht.
Mit einem kleinen Stirnrunzeln setzte er sich mir gegenüber hin. Ich schnitt mir ein Stück Käse ab, legte es auf eine Scheibe Brot und biss ab. Es schmeckte köstlich. Von seinem Teller nahm er die Haube nicht ab. Er saß nur da und schaute mir beim Essen zu.
„Stimmt es, dass du kein Essen zu dir nehmen kannst?“, fragte ich.
„Ja, dieses Vergnügen ist mir leider verwehrt.“
„Warum? Wenn du Blut schlucken kannst, warum kannst du dann nicht auch essen oder trinken?“
„Überlege doch. Fleischfresser gegen Grasfresser. Meine Organe funktionieren ähnlich wie die deinen, jedoch hat sich die Chemie meines Körpers völlig verändert. Ich kann nun nur noch Blut verdauen.“
Ich nickte. „Wovon ... lebst du, seit du ... in England bist?“
„Zum größten Teil habe ich mir das Wenige, das ich benötige, als Fledermaus oder Wolf besorgt, indem ich mich an wilden Tieren satt trank. Allerdings muss ich zugeben, dass ich zu meinem Vergnügen und zur Ernährung auch das Blut einiger Menschen zu mir genommen habe, die ich spät nachts allein auf der Straße angetroffen habe. Zuerst hatten sie Angst, wie immer, doch dann schienen sie das Erlebnis ziemlich zu genießen. Und ich habe dafür gesorgt, dass sie sich anschließend nicht daran erinnerten.“
Es erstaunte mich nicht, dass diese Fremden den Aderlass genossen hatten, wenn sie dabei auch nur annähernd das Gleiche empfunden hatten wie ich. „Aber ich erinnere mich an alles , was geschehen ist“, erwiderte ich.
Er blickte mich schweigend und mit hochgezogenen Augenbrauen an, woraus ich ablas, dass dies seine Absicht gewesen war. Ich spürte, wie ich errötete.
„Du bringst also nie die Menschen um, von deren Blut du dich ernährst?“
„Nur wenn ich die Beherrschung verliere und zu viel oder zu oft trinke, aber das geschieht nur sehr selten.“ Er lächelte und fügte ruhig hinzu: „Schau mich nicht so besorgt an. Ich verspreche dir, dass ich bei dir niemals zu viel trinken oder die Beherrschung verlieren werde.“
Furcht beschlich mich. Er hatte dieses Versprechen in so nüchtern sachlichem Ton gegeben. Und doch sprach er hier von meinem Leben ! Von meinem Leben, das er von einer Sekunde zur anderen beenden konnte, sei es versehentlich oder mit Absicht. Ich versuchte, diese Möglichkeit zu verdrängen, und fuhr mit meinen Fragen fort: „Atmest du?“
„Manchmal. Aber nur aus reiner Gewohnheit, es besteht keine Notwendigkeit.“
„Wenn ich dich steche, blutest du dann?“
„Ja, aber die Wunde verheilt so schnell, dass es beinahe scheint, als wäre ich überhaupt nicht verletzt worden.“
Es war alles so unheimlich. Mein Magen krampfte sich vor Furcht zusammen. Ich legte die Trauben, die ich in der Hand hielt, wieder auf den Teller, weil ich nichts mehr herunterbringen konnte.
„Wie kann ich erreichen, dass du dich wieder ein wenig entspannst?“, fragte er sanft.
„Sprich mit mir.“
„Mit Vergnügen. Seit dem Tag, an dem wir uns kennenlernten, waren die Gespräche mit dir eine meiner größten Freuden. Deswegen habe ich dich hierhergebracht. Ich denke, dich bewegen einige Fragen, die du
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