Dracula, my love
nicht einfach ziehen lassen?“
„Niemals!“, erwiderte Dr. van Helsing.
„Aber warum? Hier ist er fertig. Es gibt nichts mehr zu befürchten.“
„Es gibt sehr viel zu befürchten, meine liebe Frau Mina. Er kann noch Jahrhunderte lang leben, aber Sie sind nur ein sterblicher Mensch. Sehen Sie nicht das Mal auf Ihrer Stirn? Er hat Sie gezeichnet. Jetzt müssen Sie das Verrinnen der Zeit fürchten, denn Sie haben sein Blut getrunken.“
Ich wusste, dass dies nicht stimmte. Unbewusst fuhr ich mir mit der Hand an die Narbe, die noch immer rot und empfindlich war. „Vielleicht irren Sie sich mit Ihrer Theorie, Professor.“
„Ich irre mich nicht.“
Ehe ich das Thema weiter verfolgen konnte, läutete Dr. van Helsing nach dem Frühstück. Dann begann er mit den Männern zu beratschlagen, wie man wohl am besten etwas über Draculas Abreise in Erfahrung bringen könnte; gleich am Morgen wollten sie sich Gewissheit darüber verschaffen.
Nach dem Frühstück machte sich der Professor zum Hafen von London auf. Alle anderen begleiteten ihn. Nur Jonathan bestand darauf, zu Hause zu bleiben, Wache bei mir zu halten und mir Gesellschaft zu leisten. Zunächst war mir in der Gegenwart meines Ehemanns ein wenig unbehaglich zumute. Ich sorgte mich, dass ich vielleicht eine Bemerkung machen würde, die meine Komplizenschaft mit Dracula verraten könnte. Doch gleichzeitig war ich außerordentlich dankbar für die Gelegenheit, mit Jonathan zusammen zu sein. Seit wir Exeter verlassen hatten, waren wir nun - abgesehen von den wenigen Augenblicken in der Abgeschiedenheit unseres Schlafzimmers - zum ersten Mal wieder allein und konnten wirklich miteinander reden.
Wir verbrachten den Morgen damit, noch einmal alle Papiere durchzugehen. Während ich die neuesten Tagebucheintragungen und Berichte mit der Maschine schrieb, ordnete Jonathan alles in die richtige zeitliche Reihenfolge und sah es noch einmal durch, damit wir sicher sein konnten, nichts ausgelassen zu haben. Als wir fertig waren, stimmten wir darin überein, dass wir ein wenig Ablenkung brauchten, und beschlossen, einen Spaziergang ins Dorf zu machen.
Während wir über die baumbestandene kleine Straße schlenderten, schien uns die frische Herbstluft neu zu beleben. Die Vögel sangen in den Bäumen, und in der Ferne blökten Schafe. Hier fiel es uns schwer, zu glauben, dass wir in dieses seltsame, der Erde entrückte Drama verstrickt sein sollten, das unser aller Leben so aufgewühlt hatte. An Jonathans lockerem Gang und seinen entspannten Zügen konnte ich ablesen, wie sehr auch er diesen kurzen Augenblick fern unserer großen gemeinsamen Angst genoss.
„Die Abreise des Grafen hat uns ein wenig Zeit geschenkt“, sagte Jonathan mit einem kleinen Lächeln. „Zu wissen, dass diese schreckliche Gefahr nun nicht mehr jeden Augenblick über uns schwebt, allein das ist schon ein Trost.“
„Ja.“
Sein Blick streifte meine Stirn, und sein Lächeln verschwand. „Es tut mir so leid, was mit dir geschehen ist, Mina. Wenn es je eine vollkommene Frau gegeben hat, dann bist du es, meine arme Liebste. Und dir wurde so übel mitgespielt.“
Ich errötete. „Ich bin keine Heilige, Jonathan. Ich bin so unvollkommen, wie eine Frau nur sein kann.“
„Unsinn. Du bist ein Engel. Gott wird es gewiss nicht zulassen, dass die Welt einer so wunderbaren und guten Person beraubt wird. Darauf ruht meine Hoffnung. Daran klammere ich mich, um durch die finsteren Zeiten zu kommen, die vor uns liegen.“ Er ergriff meine Hand. „Zumindest verfolgen wir jetzt ein gemeinsames Ziel. Vielleicht sind wir letztlich die Werkzeuge des Guten.“
Bei diesen Worten vertiefte sich meine Schamröte nur noch. Oh, wenn Jonathan wüsste, was ich getan hatte und was ich immer noch zu tun beabsichtigte. Wenn er die Gefühle kennen würde, die ich für seinen Rivalen hegte, dann würde er sicher entsetzt und voller Verachtung vor mir zurückschrecken und den Boden hassen, den meine Füße betreten hatten. Sag es ihm , schrien meine Gedanken. Sag ihm alles. Er ist dein Gatte. Er verdient es, die Wahrheit zu erfahren. Aber zu meiner Verzweiflung wurde mir plötzlich klar, dass ich es nicht über mich bringen würde. Dann wäre alles verloren. Dann würde es zum Krieg kommen, in dem einer der geliebten Männer sicherlich sterben müsste, wenn nicht gar beide. Ich verbannte meine Schuldgefühle in einen kleinen Winkel meines Herzens und war entschlossen, sie dort zu lassen und mich stattdessen auf das Hier
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