Dracula - Stoker, B: Dracula
erzählt haben, wissen Sie ja ohnehin, dass hier seltsame Dinge vorkommen können.«
Dies führte zu einer ausgedehnten Konversation, und da ich bemerkte, dass er gerne plauderte, und sei es nur um des Plauderns willen, so fragte ich ihn vieles über die Dinge, die ich bisher gesehen oder sonst wie erfahren hatte. Zuweilen bog er das Gespräch ab oder unterbrach es, angeblich weil er nicht genau verstanden habe, im Allgemeinen aber antwortete er mir offen auf alle gestellten Fragen. Als dann die Zeit vorrückte und ich etwas kühner wurde, fragte ich ihn über einige der kuriosen Dinge der vergangenen Nacht, so unter anderem auch danach, warum der Kutscher den blauen Flämmchen nachgegangen sei. Ob es wirklich |35| wahr wäre, dass diese Lichter vergrabene Schätze anzeigten? Er erklärte mir, dass allgemein der Glaube verbreitet sei, dass in einer bestimmten Nacht des Jahres – tatsächlich war es gerade die letzte Nacht, in der alle bösen Geister freie Bahn haben sollten – blaue Flammen sich an den Plätzen zeigen, wo ein verborgener Schatz liege. »Solche Schätze sind in der Gegend, durch die Sie vergangene Nacht kamen, tatsächlich vergraben«, fuhr er fort. »Daran habe ich nicht den geringsten Zweifel, denn es ist der Boden, auf dem jahrhundertelang Walachen, Sachsen und Türken miteinander gekämpft haben. Da ist schwerlich auch nur ein Fußbreit Erde zu finden, der kein Menschenblut getrunken hat, von Freund wie Feind. Das waren böse Zeiten, als die Horden der Österreicher und Ungarn sengend herüberkamen und die Einheimischen sich ihnen entgegenstellten – Männer und Frauen, Greise und Kinder – und ihnen in den Felspässen auflauerten, um durch künstliche Lawinen das Verderben in die Feinde zu schleudern. Wenn die Eindringlinge jedoch trotzdem einmal siegten, so fanden sie meist nichts mehr vor, denn was man besaß, hatte man zuvor dem freundlichen Boden anvertraut.«
»Aber wie kommt es dann«, fragte ich, »dass diese Schätze seit so langer Zeit nicht gehoben wurden, wenn so sichere Anzeichen vorhanden sind und man nur die Augen aufzumachen braucht, um sie zu finden?« Der Graf lächelte, wobei sich seine Oberlippe eigentümlich über das Zahnfleisch zurückzog und die langen, scharfen Eckzähne hervortraten. Er antwortete:
»Weil der Bauer in seinem Herzen feige und dumm ist. Diese Flämmchen erscheinen doch nur in einer einzigen Nacht, und in dieser Nacht geht in unserem Land niemand, der nicht unbedingt muss, aus seinem Haus. Und selbst wenn er es wagte, es würde doch zu nichts führen. Er könnte sich die Stellen, an denen er die Lichter sieht, sogar markieren. Schon am nächsten Tag würde er nicht mehr in der Lage sein, sie wiederzufinden. Ich würde sogar schwören, dass auch Sie keinen der Plätze mehr erkennen würden.«
|36| »Da haben Sie wohl recht«, sagte ich darauf, »ich vermag ebenso wenig wie ein Toter nach den Schätzen zu graben.« Dann kamen wir auf andere Dinge zu sprechen.
»Bitte«, sagte der Graf, »erzählen Sie mir von London und von dem Haus, das Sie für mich ausgesucht haben.« Ich entschuldigte mich einen Augenblick und begab mich in mein Zimmer, um die nötigen Papiere aus meinem Koffer zu holen. Während ich diese etwas in Ordnung brachte, hörte ich aus dem Speisezimmer das Klappern von Porzellan und Silber, und als ich zurückkam, war der Tisch abgeräumt und die Lampe angezündet, es dunkelte schon stark. Auch im Bibliothekszimmer waren die Lampen angezündet, und der Graf lag auf dem Sofa, wobei er merkwürdigerweise Bradshaws »Kursbuch von England« 3 durchblätterte. Als ich hereintrat, räumte er die Bücher und Zeitungen vom Tisch und vertiefte sich dann mit mir in Pläne, Urkunden und Zahlen aller Art. Er interessierte sich für alles und stellte mir Hunderte von Fragen über das Grundstück und seine Umgebung. Er hatte, wie es mir schien, bereits vorher alles sorgfältig studiert, was er über die Nachbarschaft in Erfahrung bringen konnte, denn er wusste eigentlich mehr als ich. Als ich ihm mein Erstaunen darüber zum Ausdruck brachte, sagte er:
»Allerdings, mein Freund, aber musste ich das denn nicht? Wenn ich dorthin komme, bin ich allein, und mein Freund Harker Jonathan – verzeihen Sie, ich habe nach der Gewohnheit meines Landes Ihren Familiennamen vorangestellt –, mein Freund Jonathan Harker wird mir nicht mehr zur Seite stehen, mich korrigieren und mir helfen. Er wird in Exeter sein, viele Meilen von mir, und vielleicht mit meinem
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