Draculas Eisleichen
Kilometer weiter wurde es dann besser, da war das Land flach, sogar bewaldet, wobei der Wald in Richtung Süden immer dichter wurde.
Um mobil zu sein, standen den Männern schwere Fahrzeuge zur Verfügung. Aber auch Hundeschlitten gehörten zur Ausrüstung, und das Bellen der Zugtiere war eine ständige Begleitmusik, die über dem schmalen Landstrich in der kleinen Bucht schwebte.
An diesem Tag war das Wetter sogar gut. Zwar wehte der Wind, aber er hatte es auch geschafft, die dicken, grauen Wolken des letzten Tages zu vertreiben. Hoch über den Männern präsentierte er sich in einem nahezu strahlenden Blau, nur ab und zu unterbrochen von weißen Wolkentupfern.
Sie gingen über den matschigen Schnee. Weiter vorn, zum Strand hin, bildete er noch eine fast weiße Fläche, gegen die das Sonnenlicht schien, das reflektiert wurde und deshalb so blendete. Ohne dunkle Brille konnte sich hier kaum jemand bewegen. Mesrin kannte den Weg zum kleinen Naturhafen zwar, er ließ den Fischer trotzdem vorgehen und wunderte sich hörbar darüber, daß Iljuk einen anderen Weg einschlug.
»Wir gehen nicht zum Hafen. Ich habe die Entdeckung woanders gemacht. Außerhalb.«
»Wie weit weg?«
»Nicht sehr weit. Wir können auf einen Wagen gut und gern verzichten. Es wird schon gehen.«
»Wenn du meinst.«
Die Mehrzahl der Fischer befand sich auf dem Wasser. Einen solchen Tag nutzten sie aus. Da waren die Netze meistens voll, wenn sie zurückkehrten.
Die Ware wurde verkauft, wenn auch auf beschwerlichen Wegen, denn es mußten immer wieder schwere Lastwagen kommen, um sie abzuholen. Wirtschaftlich lohnte es sich nicht, aber wer dachte in diesem Land schon darüber nach, in dem der Begriff Markwirtschaft noch fast ein Fremdwort war?
Die beiden Männer hatten den Bereich der Station kaum verlassen, als sie von der Einsamkeit umschlungen wurden. Der Schnee bildete kleine Hügel, wenn der Wind ihn gegen die rohen Felswände geschleudert hatte. An manchen Stellen war er sehr tief. Seine vereiste Oberfläche knirschte, wenn sie den Druck der Stiefelsohlen spürte.
Sie gingen dem Meer entgegen.
Mesrin hatte seine Hände in die Taschen der gefütterten Jacke gesteckt, hielt beim Gehen den Kopf gesenkt, schaute aber hin und wieder auf und ließ seine Blicke über den Strand hinweg bis auf die Wasserfläche gleiten, die so breit und irgendwie unendlich erscheinend vor ihm lag. Ein ewiges, wogendes Grau, ein Auf und Ab ungezügelter Massen, die in scharfen Wellen gegen den Strand liefen, oft genug schaumige Kämme bildeten, von aus dem Wasser schauenden Felsen manchmal gebrochen wurden, aber dennoch soviel Kraft besaßen, daß sie donnernd gegen die felsige Küste krachten und als lange Gischtschlangen in die Höhe stiegen, als wollten sie einen gespenstischen Umhang aus Wassertropfen bilden.
Das Land war rauh, wild, nur die härtesten Männer konnten hier bestehen, ohne irgendwann einmal Amok zu laufen. Mesrin dachte daran, daß in drei Monaten sein Urlaub begann, der ein halbes Jahr dauern würde. Dann wollte er in den warmen Süden.
In Strandnähe war die Schneedecke dünner. An manchen Stellen trat der blanke Fels hervor, doch auch er war oft genug von einer dünnen Eisschicht bedeckt, so daß die Männer achtgeben mußten, um nicht noch auszurutschen.
In den kurzen Sommermonaten taute ein Teil des Schnees weg. Wie aus dem Nichts tauchte dann ein Stück Natur auf, und dünne grüne Pflanzen bedeckten den Boden. Zumeist nur Moose und farnähnliche Gewächse, die im Herbst wieder verschwanden.
Wenn sie sich jetzt unterhalten wollten, mußten sie laut schreien, denn das Donnern der Brandung gegen den grauen Fels übertönte alle anderen Geräusche.
Iljuk verständigte sich auch mehr durch Zeichen. Des öfteren deutete er nach vorn.
»Wo denn genau?« schrie Mesrin.
»Mehr nach rechts. Es klemmt in einer Felsspalte.«
»Und was ist es, verdammt?«
»Eine Eisscholle.«
Mesrin blieb stehen. Er glaubte, sich verhört zu haben und legte eine Hand an sein geschütztes Ohr. »Noch mal. Was ist das?«
Iljuk kam näher. Er bewegte seine Hände dabei und redete lauter.
Mesrin preßte die Lippen zusammen. Er wußte nicht, ob er den Fischer ausschimpfen oder einfach nur weglaufen sollte. Er fühlte sich auf den Arm genommen, einfach hintergangen, denn für eine angetriebene Eisscholle hätte er die Station nicht zu verlassen brauchen. So etwas kam jeden Tag vor. Darum kümmerte sich niemand.
Iljuk merkte, was in dem Mann vorging. Er
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