Draculetta: Eine Bestürzung in Transsylvanien (German Edition)
auf sich selbst zu schauen. Denn der Blick ins Nichts ist wie kein anderer ein Blick auf das Sein. Denn erst wer das Nicht-Sein gefühlt hat, kann das Sein, wenn es ihm gelingt, sich zu diesem zurückzuwenden, in seiner ganzen Pracht erfassen. Meine Soziologie-Kollegin nahm mich noch am selben Abend in ihr Zimmer im VII. Bezirk mit, zog den Rock hoch und spreizte die Beine. Ich starrte mitten in ihren Spalt und dachte an Carl Schmitt, der gelehrt hatte, das alles im Leben von einer großen Entscheidung abhinge. So sehr ich geneigt war, dem Staatsrechtler Recht zu geben, so gern hätte ich doch seiner Lehre eine Fußnote hinzugefügt. Die eine große Entscheidung nämlich ist das Ergebnis vieler kleiner und zieht viele kleine nach sich. Und jede kleine Entscheidung ist ebenso peinlich und schmerzhaft wie die große. Das fängt bei der Entscheidung an, ob man morgens aus dem Bett aufsteht oder nicht. Jeder Tag beginnt mit einer Krise. Das Morgenlicht bringt den Kampf zwischen Hell und Dunkel, Sein und Nicht-Sein. Wer erwacht, ist Hamlet.
Groß ist die Versuchung, die Welt fahren zu lassen, sich wieder auf die Seite zu drehen und ins Dunkel zu tauchen. An jenem Abend in Wien jedoch fand ich die Kraft, mich zu einer Entscheidung aufzuraffen und ließ die Kollegin sitzen, tauchte nicht in ihr dargebotenen Nichts ein.
Wer sich für das Sein entscheidet, wer morgens aufsteht, wer eine Frau Frau sein läßt und sich ermannt, der kann leben, der kann seinen Weg gehen. Wer sich vom Tode losreißt, der reißt die Frage nach dem Sinn des Lebens auf. Nun kann er ihr auch nicht mehr ausweichen, er muß sie beantworten: Mit seinem ganzen Leben. Und er muß die Konsequenzen dieser Antwort tragen, selbst wenn sie den Tod bedeutet.
Während die Zurückgebliebenen meiner Familie von Maria Elend aus gegen Groß-Slowenien und für das Überleben der weißen Rasse kämpften, stand ich an einer anderen Front meinen Mann. Die meisten Frauenärzte antworten auf die Frage, warum sie gerade dieses Fach gewählt haben, es sei Zufall gewesen, sie hätten einen guten Gynäkologie-Professor gehabt, man habe ihnen ein Forschungsthema für die Dissertation angeboten und was dergleichen Ausreden mehr sind. In Wirklichkeit handelt es sich oft um Männer, die anders nicht an Frauen herankommen, öfter noch um solche, die von ihnen nicht genug bekommen können; letztere erkennt man schon auf der Uni an Polohemden, Sportuhren und Solariumsbräune.
Die Männchen beider Gruppen haben das the ologische Fundament ihrer Fachrichtung nicht verstanden und sind im Grunde zur Ausübung ihres Berufes ungeeignet. Ich dagegen wußte, daß ich mit meinem Studienfachwechsel und der medizinischen Spezialisierung an die Schwelle von Licht und Dunkel vorrückte. Denn der Kampf zwischen Leben und Tod, zwischen Sein und Nichtsein wird nur hier gekämpft; angesichts des großen Nichts. Darum sind mir all diese Feldherren, Bergsteiger, Großwildjäger, Löwenbändiger, Dompteure ebenso suspekt wie ihre Kommentatoren: die Kriegsberichterstatter, Sportjournalisten, Abenteuer- und Reiseschriftsteller, Kultur- und Zirkuspublizisten. Die einen kämpfen an einer Scheinfront und setzen dabei die zusammengekniffene Miene eines Denkmalshelden auf. Die anderen wollen noch schlauer sein und drechseln Worte, die schwerer wiegen sollen als die Taten selbst. Was dabei herauskommt, sind viele Tote: Menschen und Bücher.
Das einzige Land, das es wert ist, bereist zu werden, ist der weibliche Körper. Und es gibt nur drei große Reisende, nur drei echte Helden: Den Dichter , den Künstler und den Frauenarzt.
Bei meiner Ankunft in Paris stellte ich fest, daß die Vorbereitung, die ich in Wien genossen hatte, nicht einmal die schlechteste gewesen war. Das Studium der Geschichte, Literatur, Mathematik und Physik und besonders die Tätigkeit als Theaterkritiker ist für jeden Arzt, besonders für jeden Frauenarzt, eine hervorragende Propädeutik, und ich wollte, alle angehenden Ärzte würden ein paar Semester lang in andern Fächern wildern, bevor sie sich in die medizinische Fakultät einschreiben.
Doch dies Gewächshaus mit den dicken, schweren Blüten, dieses Wien, habe ich es in Paris vermißt? Nur in den ersten Wochen dann und wann beim Aufwachen. Dagegen wurde mir bald klar, daß es für Paris keine bessere Vorschule gibt als Wien. Beide Städte hatten früher große Höfe, einen königlichen die eine, einen kaiserlich-königlichen die andere, die eine Schule der Galanterie waren
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