Draculetta: Eine Bestürzung in Transsylvanien (German Edition)
Weg wählte. Doch als wir aus dem Schneckenhaus ausstiegen, war es klar, daß wir uns im Keller befanden. Dunkle, nur mit wenigen Fackeln erleuchtete Gänge führten an Eisengittern und -türen vorbei, nirgends war ein Fenster, und unsere Schritte hallten in die Weiten unbekannter Gewölbe. Während ich mich noch fragte, in welchem Loch ich gelandet war, erschien am Ende einer Stiege, auf der wir noch einmal ein paar Etagen tiefer gingen, ein Lichtschein. Ich erwartete einen Saal, in dem ich von den Schrecken dieser Keller aufatmen konnte. Wir kamen aber in eine weiß gekachelte Halle, die mit Neonlicht beleuchtet war und in deren Mitte ein ebenfalls gekachelter Tisch mit einem Ausguß stand. Die Atmosphäre für eine Liebeserklärung konnte nicht ungemütlicher sein. Ich hatte mir doch vorgenommen, mich mit meiner ganzen Person, meiner ganzen Liebe in den Fall zu werfen und auf diese Art die Fürstin zu heilen, weil ich glaubte, daß nur derjenige, der alles riskierte, bei ihr alles gewinnen konnte. Aber ein solcher Raum schien alle Ambitionen, schien meine Therapie von vornherein zunichte zu machen. An der weißen Wand unterschied ich plötzlich die Comtesse, die ebenfalls in Weiß gewandet war; dabei trug sich nicht den Kittel von gestern, obgleich dieser in die Umgebung gepaßt hätte, sondern das Kleid mit blauem Gürtel, das sie tagsüber getragen hatte.
Und dann sah ich sie.
Die Fürstin war wie eine Schwester der Comtesse in das gleiche weiße Kleid mit blauem Gürtel gekleidet. Im übrigen hatte sie mit der Dame, die ich am Tag zuvor gesehen hatte, nicht viel Ähnlichkeit. Hatte ich am Vortag die Hitze und Glut der Verzweiflung gefühlt, die von ihr ausging, so fühlte ich heute nichts, denn Eleonore schien völlig kalt zu sein und schaute mich an wie einen Fremden. Ihre Augenfarbe konnte ich immer noch nicht bestimmen. Doch der Ausdruck ihrer Augen, unter denen die Schatten noch schwärzer schienen als am Anfang, war hart und kalt. Ihr Gesicht war wie eine Maske und erinnerte mich an das der bleichen Frau Müller, die aus dem Banat, also aus der gleichen Gegend, kam und die ihres Nobelpreises zum Trotz jeden Samstag weiß über den Friedenauer Markt in Berlin schlich. Ich küßte die Hand der Herrin, die leblos herunterhing. Eleonore schien heute keine Gnade für mich zu haben, und als ich mit meinen Ausführungen begann, kam es mir vor, als hörte mir niemand zu.
»Sie müssen sich , Hoheit«, begann ich, »vor allem von der historischen Theologie befreien, die heute in so vielen Hirnen Unheil anrichtet. Es ist völlig absurd, daß Sie sich am Tod ihrer Zwillingsschwester die Schuld geben. Man kann einen embryonalen Kameraden im Mutterleib nicht mit der Nabelschnur erwürgen, das ist medizinisch schwerlich möglich. Und selbst wenn Sie es getan hätten, träfe Sie keine Schuld, weil Sie zum Zeitpunkt des Geschehens noch nicht strafmündig waren.«
Die Fürstin zeigte keinerl ei Reaktion; höchstens daß ein Zug von Verachtung über ihren Mund zuckte. Aber vielleicht bildete ich mir das ein.
»Zweifellos ist es eine Heimsuchung, der Sie, Durchlaucht, sich zu erwehren haben. Aber Sie hatten nicht ganz Unrecht, als Sie von einer besonderen Begabung sprachen, die Sie besitzen.«
Mit dieser Bemerkung hatte ich die Atmosphäre auflockern wollen, was mir aber offensichtlich nicht gelang. Je weniger sich die Fürstin für meine Ausführungen erwärmte, desto mehr erhitzte ich mich für sie. Die Liebe, derer ich mir vor wenigen Minuten angesichts ihres Portraits bewußt geworden war, schoß nun voll durch mich hindurch. Ich sah die Bleiche vor mir, und sie wollte mir als die Schönste der Welt erscheinen, als die einzige Frau, die ich je geliebt hatte, als diejenige, die ich immer lieben und mit der ich, falls es keinen anderen Weg gab, untergehen würde.
» Keine Rose ohne Dornen!« rief ich, und nun schien es, als zöge die Fürstin die linke Augenbraue ein paar Millimeter empor.
»Eine besondere Patientin erfor dert eine besondere Behandlung«, fuhr ich fort und redete mich in jene Begeisterung hinein, die der Fürstin augenscheinlich abging. »Nicht nur die Medizin, auch Geschichte und Philosophie lehren uns, daß man alles riskieren muß, um alles zu gewinnen. Denn nur wer sich selbst verliert, wird sich selbst gewinnen. Wer sich aber nicht verlieren will, der wird sich ganz verlieren.«
Ich staunte über meine Klugheit und fragte mich, wie mir letztere Bemerkung hatte
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