Draculetta: Eine Bestürzung in Transsylvanien (German Edition)
gewöhnen. Mir waren das Quietschen der Tramway, das Brausen der Autos, das Brüllen der Busse und das Raunzen der Wiener von Anfang an Musik. Alles was die Stille überbrückte, alles was die Leere ausfüllte, die der verschwundene Große Dürrenbach in mir hinterließ, war mir recht.
Im Café Weimar steht noch ein Klavier, und so wie ich meine Füße hatte laufen lassen, wohin sie wollten, so li eß ich nun meine Hände spielen, was sie wollten. Und meine Finger schlugen den Tristanakkord an, als hätten sie im Leben nichts anderes getan. Chromatisch, tonal nicht festzulegen; genauso war mein Leben als Student in den ersten Wochen. Ich schaute meinen Händen auf der Tastatur zu und blickte in einen Abgrund. Meine zehn Finger brachten dem Caféhauspublikum das ganze Tristan-Vorspiel zu Gehör, während für mich unter der langsamen und schmachtenden Musik eine Stille gähnte, die mich mit dem Tod bedrohte.
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Das Grundrauschen, das der Große Dürrenbach meinem Leben verliehen hatte, war für immer verstummt. Doch beim ersten Großen Schwarzen an diesem Tag, beim ersten Marmeladenkipferl schaute ich mich im Kaffeehaus um und sah lauter Mädchen und Frauen an den anderen Tischen sitzen. Da wurde mir bewußt, daß die Stadt Wien, in die so viele Künstler und Gelehrte aus ganz Österreich gezogen waren, und zwar freiwillig, daß diese Stadt wie eine große Mutter war, die jedem das gab, was er brauchte, eine Art wohltätige Wölfin, die für jeden eine Zitze übrig hatte. Hier würde ich nicht zugrundegehen, das fühlte ich, und ich sollte recht behalten. Denn kaum hatte ich das Café Weimar verlassen, um über die Währinger Straße in Richtung der Alma Mater zu schlendern, bemerkte ich, als Mädchen und Frauen mir entgegenkamen und zulächelten, daß die Stadt Wien mir das fehlende Grundrauschen des Großen Dürrenbaches von Maria Elend längst durch ein anderes ersetzt hatte: Das sexuelle, das von nun an zum Grundrauschen meines Lebens werden sollte. Dieses Wien ist wie ein überheiztes Gewächshaus, in dem sich überall bunte und exotische Schlingpflanzen nach dem Fliehenden ausstrecken.
Geschichte, Literatur, Mathematik und Physik waren meine Studienfächer. Nebenbei arbeitete ich als Journalist und Theaterkritiker. In Burg und Josefstadt ging ich ein und aus. In dieser Zeit lernte ich den Schauspieler Sardonius Spork kennen, dem ich viel verdanke, etwa die Aufnahme in den Rumänischen Drachenorden; er hat sie als Bürge vermittelt.
Mein Leben wendete sich, als ich bei einem Preisausschreiben der Kronenzeitung eine Wochenendreise nach Paris gewann. Wie betrunken wankte ich durch diese Stadt der Lichter. Als ich zum Marsfe ld kam und unter dem Eiffelturm hindurch ging, kamen mir dessen Eisenfüße wie die gespreizten Beine einer überdimensionalen Frau vor, und ich traute mich nicht einmal, den Kopf auch nur ein Stück zu heben, weil das Grauen vor einem Loch über mir, welches mich hinanzog, zum ersten Mal seit meiner Kindheit in Maria Elend wieder in meinen Kopf schoß.
Ich rannte, rannte und rannte, bis ich den Ei ffelturm nicht mehr sah. Irgendwo an einem Boulevard, ich wußte nicht, wo ich war, setzte ich mich auf eine Caféterrasse und bestellte einen schwarzen Kaffee. Als ich diesen genoß, stieg alles in mir wieder auf: Die Ängste der Kindheit, die Jahre im Krankenbett, die vielen Löcher, aber auch die Hoffnungen und Wünsche für mein Leben als Erwachsener. Tatsächlich hatte ich mich in Wien verzettelt; Geschichte, Literatur, Mathematik und Physik waren allzu interessante Studienfächer. Meine Tätigkeit als Journalist und Theaterkritiker brachte mir nicht nur einen kleinen Unterhalt und viele neue Bekanntschaften ein, sondern auch Freikarten für alle Premieren. Kein Wunder, daß ich da mein Lebensziel aus den Augen verloren hatte, und das war doch, Frauenarzt in Paris zu werden. Als ich die Tasse auf dieser Caféterrasse geleert hatte, begriff ich, daß das Preisausschreiben der Kronenzeitung und der Schock unter den gespreizten Beinen des Eiffelturms nichts anderes gewesen waren als Maßnahmen, mit denen die Vorsehung meinen Lebensweg begradigen wollte.
Die Münzen für den Kaffee warf ich mit einer Freude in die Untertasse, daß sie klirrten und verließ die Terrasse als ein Mann, der endlich seinen Weg gefunden hat. Begeistert eilte ich über die großen Boulevards, die nun, wo es dunkelte, im Glanz der Laternen und Leuchtreklamen aufleuchteten. In meinem Übermut sprang ich
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