Dracyr – Das Herz der Schatten
darin. Nein, sie hat ihm nicht vertraut, dafür hat er selbst gesorgt. Sie hasst ihn nicht, aber er hat ihre Liebe verspielt.
Der unbarmherzige Klammergriff droht, seine Augen aus dem Kopf zu pressen. Er muss gehorchen. » Flieh « , fleht er Kay mit letzter Kraft an. Der Dracer treibt ihn zu Noctyria zurück, Schritt für Schritt. Er taumelt blind, rückwärts, lässt den Blick nicht von Kay. Sieht, dass sie die Augen verdreht, dass sie in die Knie zu sinken droht. Ihre Hände tasten durch die Luft, suchen Halt. Damian weiÃ, wer Kay angreift. Paindal ist in seinem Verstand, füllt ihn ganz und gar aus. Er lässt Damian seine Lust mitempfinden. Lust, das aufsässige Wesen zu bestrafen, zu vernichten. Freude an der Vorstellung, ihr Blut zu schmecken, ihre Asche auf der Zunge zu spüren. Bedauern, ein winziges, kleines bisschen darüber, sie zu verlieren, denn sie wäre stark, eine mächtige Spielfigur für seine Formation, seine Puppen, die er nach Belieben tanzen lässt.
Damian bemerkt kaum, dass er Noctyria bestiegen hat, dass sie in der Luft sind. Er ringt mit dem Befehl des schwarzen Dracer. Paindal ist inzwischen gelandet. Lord Harrynkar springt von seinem Rücken, geht federnd, voller Vorfreude auf Kay zu, die ihn zitternd erwartet.
Paindals Aufmerksamkeit ist nun ganz und gar auf dem, was gleich geschehen wird. Er entlässt die Formation. Nachlässig. Ein Fehler, den es auszunutzen gilt. Damian stöÃt einen tiefen Seufzer aus und ruft die Formation an seine Seite. Er wiederholt den Landebefehl, während Noctyria in einen steilen Sinkflug geht.
Wieder ist er auf dem Boden, springt von Noctyrias Rücken, rennt. Vor seinen Augen flimmert das Bild, das er gefürchtet hat, seit er Kay zu lieben begann: Lord Harrynkar ragt über ihr auf. Er hat seine Hände um ihre Kehle gelegt, und sie wehrt sich so schwach wie ein Mäuschen, das im Fang eines Bussards verendet.
Es ist kein willentlicher Akt, mit dem er seinen Dolch zieht. Er will ihn nicht gegen seinen Vater wenden. Er will nur, dass dieser von Kay ablässt, dass er Damian zuhört, dass er nicht vollendet, was Paindals Wunsch ist.
Mit einem weiten Satz ist Damian bei seinem Vater. Er hört sich selbst schreien, und der Schrei erschreckt ihn, als käme er nicht aus seiner eigenen Kehle. Vor seinen Augen liegt ein blutiger Schleier. Seine Glieder schmerzen von Züchtigungen, die alt sind wie verdorrtes Laub und frisch wie Neuschnee. Er schmeckt das Blut in seinem Mund. Sein Schrei befiehlt Lord Harrynkar, sie loszulassen, sich umzuwenden, mit seinem Sohn zu sprechen, aber der Dracyrmeister beachtet ihn so wenig wie ein Bergmassiv einen heranfliegenden Spatzen. Damian hört Kays schreckliches Röcheln, und er weiÃ, dass sie jeden Augenblick ihr Leben in den Händen des Dracyrlords aushauchen wird. Er muss ihn daran hindern, er mussâ¦
Dann ist sein Messer zwischen ihnen, als besäÃe es einen eigenen Willen. Der Stahl schneidet durch dickes Leder, dringt in Fleisch, teilt Muskeln und trennt Adern, schrammt an einem Knochen vorbei und senkt sich in das Zentrum des Lebens. Blut färbt dunkles Leder noch tiefer, läuft über Damians Hand. Sein Schrei erstickt mit dem tiefen Gurgeln, das aus seines Vaters Kehle dringt.
Die Welt steht still. In einzelnen, abgehackten Bildern, die nichts mit ihm zu tun haben, die er betrachtet, still verwundert wie ein Unbeteiligter, sieht er die Klinge wieder auftauchen, blutbefleckt, in seiner blutigen Faust. Die Finger öffnen sich, der Dolch fällt, langsam, wie ein sterbendes Blatt.
Der Riese vor ihm, der dunkle Mann mit dem Haar wie schwerer Wein, hebt die Hände und greift nach etwas, das vor ihm in der Luft zu schweben scheint. Sein Körper zuckt und bäumt sich auf und schreckliche Laute brechen aus seiner Kehle. Damian sieht sein Gesicht nicht, aber er stellt es sich vor und schaudert. Brechende Augen, blutbefleckte Lippen. Langsam fällt der Hüne vornüber und begräbt die unter sich, um derentwillen Damian die Tat begingâ¦
Kapitel 32
Ihr Bewusstsein kehrte langsam und schmerzhaft wieder. Zuerst empfing sie nur die Gedanken der Dracyr und spürte ihre Verwirrung. Sie lag still, beobachtete, hörte. Etwas war geschehen. Etwas Schreckliches und Bedrohliches, das den Dracyr Angst machteâ aber da war auch Erleichterung. Freude. Das Gefühl von Freiheit.
Sie lag still. Etwas in ihr wollte noch
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